Margaret Sanger (1879-1966)

Sadie Sachs aus New York war die fünfundzwanzigjährige Frau eines Lastwagenfahrers und Mutter von drei Kindern. Im Juli 1912 versuchte sie selbst eine Abtreibung; ihr Mann fand sie bewusstlos und blutend am Küchenboden und rief den Arzt. Als die Sepsis nach Tagen ärztlichen Kampfes endlich besiegt war, flehte sie den Arzt an: „Was kann ich tun, um keine Kinder mehr zu bekommen?“ Seine lapidare Antwort lautete: „Sagen Sie Ihrem Mann, er soll auf dem Dachboden schlafen.“
Drei Monate später war Sadie tot; diesmal war sie zu einer Fünf-Dollar-Abtreiberin gegangen. Es war nicht der erste Fall dieser Art, mit dem die Krankenschwester Margaret Sanger (1879 – 1966) konfrontiert war: „Ich sehe sie vor mir, diese armen, schwachen, zerbrechlichen und verwüsteten Frauen, alle Jahre wieder schwanger, wie automatische Brutmaschinen.“ Schätzungen sprachen von 100.000 illegalen Abbrüchen pro Jahr allein in New York. Das Schicksal der kleinen Sadie beeinflusste Margaret Sangers Entschluss, ihre palliative Arbeit als Krankenschwester und im Sozialdienst zu beenden und „die Wurzeln des Übels zu erkennen und etwas zu tun, um das Schicksal der Mütter zu verändern, deren Elend zum Himmel schrie.“

Bereits 1912 schrieb sie unter dem Titel ‚Was jedes Mädchen wissen sollte’ eine regelmäßige Zeitungskolumne über Sexualerziehung, die allerdings von der Zensur kritisch beobachtet wurde: ihr Artikel über Geschlechtskrankheiten wurde wegen ‚Obszönität’ verboten.
1914 veröffentlichte sie die erste Ausgabe der Monatszeitschrift ‚The Woman Rebel’, die radikal-feministische Forderungen verbreitete inklusive des Rechtes auf Geburtenkontrolle. Ihre erste, 1916 eröffnete Klinik für Geburtenkontrolle in den USA wurde nach nur neun Tagen von der Polizei geschlossen und Sanger und ihr Team eingesperrt.
1917 gründete sie die Monatszeitschrift ‚Birth Control Review’ und 1921 rief sie die ‚American Birth Control League’ ins Leben, um die Öffentlichkeit für Verhütung zu mobilisieren.
1929 formierte sich unter Sanger das ‚National Committee on Federal Legislation for Birth Control’, um die Gesetzgebung dahingehend zu beeinflussen, dass Ärzte Verhütungsmittel abgeben dürfen.
1952 gründete sie schließlich die International Planned Parenthood Federation (IPPF).

Parallel zu ihrer Arbeit als Lobbyistin und Publizistin war Sanger ständig bemüht, einfachere, billigere und wirksamere Verhütungsmittel ausfindig zu machen und zu propagieren. Sie unterstützte amerikanische Produzenten des ursprünglich holländischen Diaphragmas, das sie aus Europa eingeschmuggelt hatte, und kümmerte sich um viele Forschungsprojekte für spermizide Cremes, kontrazeptiven Schaum und Puder und hormonelle Verhütungsmittel. Schließlich war es in den 1950er-Jahren ihr zu verdanken, dass große Finanzmittel für die Entwicklung der Anti-Baby-Pille bereitgestellt wurden.

Sangers Unterstützung der Eugenik ist für uns Heutige sehr problematisch, da wir gesehen haben, wie kurz der Weg zur nationalsozialistischen Euthanasie war. Der Begriff Eugenik wurde im Jahr 1869 vom britischen Arzt und Naturforscher Sir Francis Galton (1822-1911) geprägt und hatte eigentlich zum Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung und ihrer Nachkommen zu verbessern und die Weitergabe von (damals unbehandelbaren) Krankheiten zu reduzieren. Die Ansatzpunkte waren daher Gesundheitsversorgung, Wohn- und Lebensverhältnisse, Ernährung, Hygiene, Arbeitsbedingungen, Bildung. 

Sanger konzentrierte sich auf den Aspekt ‚Kinderreichtum‘. Durchschnittlich 15 Schwangerschaften, aus denen rund zehn Geburten folgen, bedeuteten bei ärmlichen Lebensbedingungen für die betreffende Frau eine existenzielle gesundheitliche Schwächung. Kranke Eltern, ständiger Hunger, schlechte Wohn- und Hygieneverhältnisse, zu wenig und unsauberes Trinkwasser, unbehandelbare Krankheiten – all das sind katastrophale Startbedingungen ins Leben. Sanger sah in ihrer täglichen Arbeit: Wer weniger Kinder hat, kann besser für ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen sorgen.

 

Aktuelles Projekt zur Dokumentation von Margaret Sangers Arbeit: http://www.nyu.edu/projects/sanger
http://birthcontrolreview.net/
http://miriamreed.com/books/margaret-sanger-her-life-in-her-words/

Interview mit Margaret Sanger: http://www.hrc.utexas.edu/multimedia/video/2008/wallace/sanger_margaret.html

Buchempfehlung: Peter Bagge 'Woman Rebel'