Marie Stritt (1855-1928)

Sie lassen sich kaum zählen, die Frauen und Männer, die sich im Lauf der Zeit für die Legalisierung der Abtreibung und den Zugang zu Verhütungsmitteln eingesetzt haben. Bei jeder Recherche kommen neue hinzu. Es ist eben ein Thema, das die gesamte Menschheit betrifft.

Gemeinsam war ihnen das Ziel; doch bezüglich Herkunft, Beruf, Motivation, Ideologie und verwendeten Mitteln waren und sind sie so unterschiedlich, dass kaum eine Gruppe unserer Gesellschaft nicht vertreten wäre.

Marie Stritt (1855-1928) war eine gebildete ‚höhere Tochter’, deren Freiheitsdrang sie zur Schauspielerin werden ließ. Diesem Beruf verdankte sie ihre Redebegabung, die sie zu einer gesuchten sozialpolitischen Agitatorin machte.

Ihr Antriebsmotor war die Empörung über die rechtliche Ungleichheit von Frauen und Männern. In der Beschreibung durch ihre Biografin Elke Schüller klingt das so: „Nach dem Verständnis von Stritt war in ihr eigentlich die ganze Frauenfrage enthalten, die wirtschaftliche, die soziale, die Erziehungs- und Sittlichkeitsfrage – vor allem aber die eine, wichtigste Prinzipienfrage, die allen anderen zugrunde liegt, auf die es im Grunde einzig und allein ankommt – die Frage nach dem Recht der eigenen Persönlichkeit, nach dem Recht der freien Selbstbestimmung.“

Frauen waren in vielen Bereichen rechtlich schlechter gestellt als (ihre) Männer, beispielsweise bei Ehescheidungen, beim Sorgerecht für die eigenen Kinder, als Witwe bei der Ausübung der Vormundschaft, bei Gerichtsverfahren, bei Käufen und Verkäufen, bei der Verwaltung eines eigenen Vermögens, bei Berufstätigkeit etc.

Im Jahr 1894 gründete Marie Stritt in Dresden den ersten deutschen Rechtsschutzverein für Frauen, bei dem Frauen gratis beraten und rechtlich unterstützt wurden. Ein großer Teil der Bittstellerinnen waren Dienstmädchen und Kellnerinnen, die schwanger ‚sitzen gelassen’ worden waren. So lag es für Stritt nahe, sich neben den Forderungen nach Frauenwahlrecht und rechtlicher Gleichstellung für Frauen in Vorträgen, Aufrufen und Aktionen speziell für die Streichung des Paragrafen 218 (Abbruchverbot) einzusetzen.

Obwohl Stritt radikal für Frauenrechte eintrat, war sie eine gute Vermittlerin zwischen den unterschiedlichen Standpunkten der einzelnen Fraktionen innerhalb der Frauenorganisationen. Daher wurde sie in viele einflussreichen Funktionen der Frauenpolitik berufen, etwa als Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine; später übernahm sie den Vorsitz des deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht, und wurde schließlich Stadträtin in Dresden.

 

Schüller, Elke: Marie Stritt - Eine "kampffrohe Streiterin" in der Frauenbewegung (1855-1928). Mit dem erstmaligen Abdruck der unvollendeten Lebenserinnerungen von Marie Stritt, 2005, ISBN:; 3-89741-178-4