Das Tor für die „heimlichen Schwangeren“

Im Winkel zwischen der Österreichischen Nationalbank und dem Campus der Universität Wien (Altes AKH) befindet sich das neuerdings nach dem Radiologen Guido Holzknecht (1872-1931) benannte Tor. Den Namen ‚Tor der heimlich Schwangeren’ und die Geschichte dieses Tores kennen nur die wenigsten. Wir danken der Historikerin Verena Pawlowsky für die Erlaubnis, ihre entsprechenden Entdeckungen und Forschungsergebnisse zu übernehmen.

Seit Josef II. das ehemalige Großarmenhaus im Jahre 1784 in ein Allgemeines Krankenhaus umgewandelt hatte, enthielt dieses in seinem damals östlichsten Trakt auch eine eigene Gebärabteilung. Als Wiener Gebärhaus hatte dieses Institut bis 1908 eine wechselvolle und zum Teil vom Spital ganz unabhängige Geschichte. Es war eine Zufluchtsstätte für ledige gebärende Frauen, die hier während Entbindungen und Wochenbett diskrete Aufnahme fanden und schließlich auch ihre neugeborenen Kinder zurücklassen konnten. Fast 700.000 Frauen machten im Laufe der Geschichte von dieser Einrichtung Gebrauch. Die Säuglinge kamen als Findelkinder in das – dem Gebärhaus administrativ angeschlossene – Findelhaus.

Die Wiener Gebäranstalt entsprach damit den Forderungen aufgeklärter Zeitgenossen, denen das Schicksal lediger Mütter am Herzen lag. Die Aufnahme in das Haus war freilich an bestimmte Bedingungen geknüpft: Die Frauen waren verpflichtet, für ihren Aufenthalt und die Abnahme des Kindes eine bestimmte Taxe zu zahlen oder sich dem geburtshilflichen Unterricht zur Verfügung zu stellen. Die meisten waren arm; sie mussten den zweiten Weg wählen und dienten damit letztendlich der Etablierung der praktischen Geburtshilfe als medizinisches Fach.

Die Trennung der Frauen in zahlungskräftiges und in armes Publikum hatte weitreichende Auswirkungen auch auf die innere Einrichtung des Gebärhauses. Denn Frauen, welche die notwendige Eintrittsumme bezahlen konnten, erkauften sich damit auch absolute Anonymität. Sie konnten „mit Larven, verschleyert, und überhaupt so unkennbar als sie immer wollen,“ in das Gebärhaus kommen. Und sie durften einen eigenen Eingang nehmen: das sogenannte „Schwangerthor“.

Anders als der Haupteingang, der über die Höfe des Allgemeinen Krankenhauses erreichbar war, führte dieses unscheinbare Tor von außen in das Gebärhaus. Zugang zu dem versteckten Winkel boten zwei schmale Gassen (die Rotenhaus- und die 1784 eröffnete „Neue Gasse“), die hinter der damaligen Infanteriekaserne verliefen. Das Tor war stets verschlossen; ein eigens angestellter Portier wachte drüber und öffnete nur, wenn sich eine schwangere Frau am Glockenzug bemerkbar machte und Einlass in die Zahlabteilung begehrte.

 

Quelle:
Verena Pawlowsky, Das Tor für die „heimlich Schwangeren“, in: Alfred Ebenbauer/Wolfgang Greisenegger/ Kurt Mühlberger (Hg.), Universitätscampus Wien, Bd. 1: Historie und Geist, Wien: Verlag Holzhausen 1998, S. 183–184
https://geschichte.univie.ac.at/de/personen/tor-der-heimlich-schwangeren
http://austria-forum.org/af/Bilder_und_Videos/Bilder_Wien/1090_Gedenktafeln/3589
http://www.forschungsbuero.at/verena.pawlowsky.lebenslauf.html

 

Foto: Zugang von der Thavonatgasse/Rotenhausgasse, 1090 Wien, 2014