Doris Lessing geißelt Auswirkungen des Abbruchverbotes
Literatur und Kunst transportieren sozialpolitische Anliegen
Die soeben gekürte Literatur-Nobelpreisträgerin Doris Lessing hat sich in ihrem Werk auch mit dem unsäglichen Leid durch das Verbot des Schwangerschaftsabbruches beschäftigt. In ihrem 1960 erschienenen autobiografischen Buch ‚Auf der Suche’ (‚In pursuit of the English) schildert sie ihren schwierigen Start in London - alleinerziehend, ohne Geld – in den 1950er-Jahren. Mit ihrem kleinen Sohn wohnt sie in einer billigen Pension in einem Arbeitervorort von London und hält mit großem Einfühlungsvermögen die Freuden und Schmerzen ihrer bunt zusammengewürfelten Mitbewohner fest. Zu ihnen gehört Mrs. Skeffington, aus besseren Verhältnissen stammend, die von ihrem Mann schlecht behandelt wird und ihr eigenes Kind drangsaliert. Als sie neuerlich schwanger ist, greift sie voller Verzweiflung zu jedem bekannten Mittel, um eine Fehlgeburt herbeizuführen. Der Gang zum Arzt ist ihr versperrt, denn der Schwangerschaftsabbruch wird in England erst 1967 straffrei (in Österreich 1975). Die Mitbewohnerinnen sind erfahren und decken sie. Nur die Autorin will eingreifen:
„Eines Morgens hörte ich vor meiner Tür einen dumpfen Schlag. Mrs. Skeffington hatte sich eine Treppe hinuntergestürzt und war gerade im Begriff, es noch einmal zu tun. „Lassen Sie mich“, murmelte sie und ehe ich sie davon abhalten konnte, ließ sie sich fallen. Auf dem Treppenabsatz richtete sie sich langsam, sehr langsam, keuchend und blass, wieder auf. „Das müsste genügen“, sagte sie und versuchte zu lächeln, während sie sich schwer atmend die Treppe hinauf zu Rosemary schleppte.
...
"Braucht Mrs. Skeffington keinen Arzt?"
"Mein Gott, bist Du wahnsinnig! Willst Du, dass sie ins Gefängnis kommt?"
"Sie kann sterben!"
"Sie wird nicht sterben. Es gibt nur einen Zeitpunkt für Ärzte. Mrs. Skeffington ist ohne ausgekommen, und sie hatte Glück. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so viel Mumm hat....Aber wenn Du jetzt einen Arzt rufst, dann ist sie erledigt..."
Großbritannien hat 1967 als erstes westeuropäisches Land den Schwangerschaftsabbruch legalisiert. Damit verbesserte sich die Gesundheit von Frauen sozusagen über Nacht dramatisch und die Müttersterblichkeit ging stark zurück.
Derzeit ist wieder eine Anpassung des Gesetzes in Diskussion: 1967 galt es als fortschrittlich, dass die Notwendigkeit des Abbruchs durch 2 Ärzte bescheinigt werden musste. Diese Regelung wird jedoch heute als hoffnungslos veraltet empfunden und führt unter anderem dazu, das Frauen in England deutlich später zu einem Abbruch kommen als in allen anderen westeuropäischen Ländern.