Der ‚vergessene’ Mensinga ist vor 100 Jahren gestorben
Dem Flensburger Frauenarzt verdanken wir das Diaphragma
Es ist die Pflicht jedes Menschenfreundes, immer dort Empfängnis zu verbieten, wo das Leben, die Gesundheit und Wohlfahrt der Mutter, durch (weitere) Schwangerschaften gefährdet erscheint. Das war das medizinische Credo von Wilhelm Peter Johann Mensinga (1836-1910),
Als praktischer Arzt und Geburtshelfer in Norddeutschland musste Mensinga die Bürde der unkontrollierbaren Fruchtbarkeit für Arme und Kranke miterleben. Die medizinischen Probleme seiner Patienten hießen ‚schlechte Ernährung’, ‚ungesunde Wohnverhältnisse’ und ‚Tuberkulose’ (Schwindsucht). Dauernde Schwangerschaften waren unter diesen Verhältnissen kaum zumutbar: Jahrelang hatte er beobachten können, dass Frauen körperlich und seelisch zugrunde gingen, wenn der Kindersegen unaufhörlich anhielt. Auch Mensingas Jugendliebe und erste Frau, die tuberkulosekranke Elise Denker, starb während ihrer Schwangerschaft. Zuvor waren ihre Mutter, Großmutter und Schwester derselben Krankheit erlegen.
Als Verhütungsmöglichkeit standen nur Kondome (noch nicht so dünn wie heute!), strikte Enthaltsamkeit über Jahre oder das ‚Sichinachtnehmen’ zur Verfügung. Was hat der Mensch dann noch vom Leben, fragte sich Mensinga: „...trotz Not, Krankheit und Schwächezuständen ist die Liebe das einzige Vergnügen der armen Leute. Der menschlich denkende Arzt möge sie nur vor den lebenstötenden Folgen bewahren, sie davor schützen.“
Verhütung galt als unsittlich
Mensinga bemühte sich um ‚facultative Sterilität’ der betroffenen Frauen und entwickelte dafür ab 1882 das ‚Pessarium occlusivum’ aus Gummi, das wir heute als Diaphragma kennen. Gemeinsam mit einem Flensburger Instrumentenmacher verbesserte er die Form der Kappe sowie den Mechanismus des flexiblen Halteringes in vielen kleinen Schritten, um sie optimal an die weibliche Anatomie anzupassen und die Anwendung angenehm zu machen. In M. Rinards Buch ‚Unter vier Augen - die hohe Schule der Gattenliebe’ (1949) wird Mensingas Pessar wie folgt beschrieben: „Es stellt einen federnden Ring dar, der mit einer halb kugeligen Gummimembrane überzogen ist. Es wird so in die Scheide gelegt, daß es den äußeren Muttermund überspannt. Dadurch wird das Eindringen der Samenfädchen verhindert. ... Es ist das billigste Verfahren, aber vom ästhetischen Standpunkt abzulehnen.“
Die Erfahrungen der Anwenderinnen und den medizinischen Erfolg dokumentierte Mensinga im Detail. Wegen der Angriffe durch seine Kollegen und die ärztliche Standesvertretung publizierte er allerdings anfangs unter dem Pseudonym Carl Hasse. Denn die Befürwortung der Verhütung galt als ‚unsittlich’, wie einer seiner Kritiker schrieb: „Jedes Mittel, welches dazu dient, den natürlichen Zweck des ehelichen coitus zu vereiteln ist gegen die Natur ... und deshalb unmoralisch. Diese Auffassung ist klar, sicher und allgemein anerkannt. Was aber widernatürlich ist, ist an sich schlecht und unmoralisch und deshalb unter allen Umständen verboten.“ Und später setzt er nach: „Niemals kann hygienisch richtig sein, was ethisch falsch ist.“ Mensingas Entwicklung setzte sich trotzdem rasant durch, vor allem in Skandinavien, England, Holland und den Vereinigten Staaten. (Siehe dazu auch unseren NL 2008/02 http://www.muvs.org/museum/newsletter/?id=50)
Mensingas Berufsauffassung war sozial und modern: Er beschäftigte sich mit „Krankheiten an Frauen – nicht Frauenkrankheiten.“ Für Bedürftige und Mittellose richtete er zweimal wöchentlich Sprechstunden zu kostenlosen Untersuchungen ein, für die anderen Patienten erdachte er ein gestaffeltes Honorarsystem, das auf ihre Zahlungsmöglichkeiten Rücksicht nahm.
Quellen:
• Armin Geus in: Wilhelm Peter Johann Mensinga, Facultative Sterilität, 1987
• Christa Kolhorst: Dr. Wilhelm Mensinga, in: Biographien; Kleine Reihe der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte Heft 12, 1985
Sehen Sie Mensingas Diaphragma und andere Verhütungsmethoden im Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch, 1150 Wien, Mariahilfer Gürtel 37, Mittwoch bis Sonntag 14 bis 18 Uhr oder jederzeit unter www.muvs.org