Alles Leben ist ... Physik.
In den heutigen Highlights geht es um Seifenschaum und Milchsäure
Wer meint, dass unser Museum den Schwangerschaftsabbruch propagiert, der liegt ganz daneben. Darum geht es überhaupt nicht. Sondern darum, dass der Abbruch medizinisch sicher und gesetzlich geschützt stattfinden kann – wenn er einmal stattfinden muss. Berichte aus der Vergangenheit schärfen den Blick dafür.
Auch bezüglich Verhütungsmethoden geben wir keine Ratschläge – was unsere BesucherInnen manchmal enttäuscht. Wir zeigen, was es gibt, wie es funktioniert, wo eventuelle Tücken liegen und wie verlässlich es ist. Daher heute: Die Milchsäure.
Milchsäure zur Verhütung
Für die Säuerung und Konservierung von Lebensmitteln (wie Sauermilch oder Sauerkraut) und Futtermitteln war Milchsäure seit langer Zeit gebräuchlich und im Haushalt verfügbar. In Folge von Prof. Albert Döderleins Untersuchungen der Milchsäurebakterien im Scheidensekret (1892) kam die Idee auf, die spermienblockierenden Eigenschaften der Milchsäure für Verhütungszwecke zu nützen.
Die geringen Erfolgsaussichten dieser Methode beschreibt der deutsche Sexualforscher Magnus Hirschfeld im Jahr 1930 in seinem Standardwerk ‚Geschlechtskunde’: „ Man hat vorgeschlagen, Milchsäure in Lösungen oder Salben vor oder unmittelbar nach dem Koitus in die Scheide zu bringen, um die saure Reaktion wiederherzustellen. Meist kommt man damit aber zu früh oder zu spät, es sei denn, dass man die Milchsäure in Verbindung mit einem mechanischen Schutz gebraucht.“ (Magnus Hirschfeld, Geschlechtskunde, Band 2, S 454 f., 1930)
Angewendet wurde die Milchsäure in Form empfängnisverhütender Gallerte (Gels) oder Cremes: „Ein vollkommenes Gallert, falls es allein verwendet werden soll, sollte sich leicht in alle Falten der Scheide verteilen, gut an den Wandungen der Scheide, der Gebärmutteröffnung und den Schleimhäuten anhaften, keine Flecken hinterlassen, es sollte geruchlos oder von angenehmen Geruch sein, Samenzellen sofort abtöten und, falls es absorbiert wird, nicht giftig sein. So sieht das Ideal aus. Es lässt sich jedoch kaum erwarten, dass dieses wie irgendein anderes Ideal in dieser unvollkommenen Welt zu finden wäre.“ (Norman E. Himes und Abraham Stone, Praktische Methoden der Geburtenregelung, München, S 91 f., 1951)
Gele mit Milchsäure werden heute noch zur Verhütung mit Diaphragmen oder Portiokappen aus Latex oder Silikon verwendet, weil sie gut verträglich sind. Irgendwelche Aussagen über die Wirksamkeit dieser Methode lassen sich daraus aber nicht ableiten.
Schaumbläschen von Seifenlösung
Vor einigen Jahren erhielten wir als Leihgabe aus einem Polizeimuseum eine Flasche mit einer gelblichen Flüssigkeit. Was für eine Flüssigkeit war das? Der Leihgeber erlaubte uns, eine Probe zu entnehmen. Gar nicht notwendig – einmal Schütteln reichte aus: Wie die spontane Schaumbildung zeigte, handelte es sich um Seifenlauge – ein früher sehr gebräuchliches Abtreibungsmittel.
Und genau die kleinen Schaumbläschen, die uns sofort Aufschluss über den Inhalt der Flasche gaben, wurden vielen Frauen zum Verhängnis! Denn diese Luft wird bei energischen Spülungen per Schlauch oder Katheter in den Blutkreislauf gepresst, wo sie Herz und Gefäße verstopft. Die medizinische Literatur ist voll von Berichten über solcherart zu Tode gekommenen Frauen. Gerade noch glimpflich ging der Abtreibungsversuch für eine Zwanzigjährige aus, über den im Jahr 1921 das Zentralblatt für Gynäkologie berichtete:
Im dritten Schwangerschaftsmonat hatte sie „seit einer Woche täglich Spülungen gemacht ... wozu sie einen ca. 150 ccm fassenden Gummiballon benutzte, der ein starres gerades Ansatzrohr von etwa 12 cm Länge aufwies. Da bislang der gewünschte Erfolg ausblieb, wiederholte sie am Tage der Aufnahme dasselbe Manöver mit Beihilfe ihres Verlobten in etwas energischerer Weise, wie sie selbst zugab. Es wurde Seifenwasserlösung verwendet ... Alsbald verspürte die Patientin heftigste Schmerzen, es trat sofort Blutung auf; sehr bald stellten sich Lufthunger und eine ziemlich lang dauernde Bewusstlosigkeit ein, während welcher die Patientin am ganzen Körper ausgesprochen blau ausgesehen haben soll.“
Dank rechtzeitiger Spitalsbehandlung und viel Glück überlebte die junge Frau, die Schwangerschaft ging ab. Es stellte sich heraus, dass das Spülrohr durch den Gebärmutterhals bis in die Blase gedrungen war. Außerdem war bei der Verwendung der Ballonspritze Luft in die eröffneten Venen von Gebärmutter und Blase gepresst worden. Bei der Patientin war die Luft glücklicherweise nicht bis zum Herzen gekommen, das dann gewissermassen ‚leer’ pumpt und pumpt. Stattdessen hatte sie ‚nur’ Lufthunger, Bewusstlosigkeit und Kreislaufstörungen erlitten. Viele andere Frauen starben nach ähnlichen Zwischenfällen.
Seife wurde häufig als Abtreibungsmittel benützt, weil sie empfindliche Körpergewebe auflöst und so zu einem Ausstoßen der Frucht führen kann.
Richard Hornung (Universitäts-Frauenklinik Kiel), Ein Fall von kriminellem Abort mit bemerkenswerten Komplikationen, Zentralblatt für Gynäkologie, Nr. 15, S 535-539, 1921