Irland: Bloß kein uneheliches Kind sein
Wie Aussätzige wurden sie behandelt, die ‚Kinder der Schande’, weil ihre Mütter nicht verheiratet waren. Die Familien schoben die ‚gefallenen Mädchen’ meist in ein (katholisches) Mutter-Kind-Heim ab – sowohl um die Familienehre zu retten, als auch wegen der (ansonsten teuren) medizinischen Betreuung durch die Nonnen. So war beispielsweise der ‚Orden der Bon Secours Sisters’ ein Pflegeorden; die Nonnen waren als Hebammen und Krankenschwestern ausgebildet. Insgesamt gab es in Irland rund ein Dutzend solcher Einrichtungen, darunter auch eine protestantische.
Zwischen 1900 und 1996 sollen ca. 35 000 Frauen in ein derartiges Heim für ledige Mütter eingezogen sein. Die Frauen wurden schlecht behandelt, um sie für ihren moralischen Fehler zu bestrafen und sie zu ‚bessern’. Als Bezahlung für Betreuung und Verpflegung mussten die Frauen ein Jahr lang in diesem Heim bleiben und ohne Lohn für den Orden arbeiten – sklavenähnliche Bedingungen wurden bekannt. Wer sogar zweimal ‚gefehlt’ hatte, musste in einer ‚Magdalenenwäscherei’ schuften – benannt nach der biblischen ‚Sünderin’ Maria Magdalena. Auch Prostituerte wurden dorthin zur Zwangsarbeit eingewiesen.
Wenn die Frau das Heim schließlich verließ, musste sie das Kind bei den Nonnen zurück lassen und durfte es niemals mehr sehen. Diese vermittelten es an adoptionswillige Ehepaare oder Pflegeeltern oder gaben ihm eine rudimentäre Schulausbildung, bei der es arbeiten und beten lernen sollte.
Die irische Bevölkerung hat die Probleme und Übergriffe der kirchlich geführten Mutter-Kind-Heime lange Zeit ignoriert. Erst seit wenigen Jahrzehnten wird darüber diskutiert. Ein Fragenkomplex betrifft die Kindersterblichkeit. In einer Parlamentsdebatte wurde festgestellt, dass jedes dritte uneheliche Baby im ersten Lebensjahr gestorben ist – etwa fünfmal so viele wie unter ehelichen Kindern. Das ist allerdings keine irische Besonderheit; Ähnliches trifft auf alle Länder zu, in denen uneheliche Kinder als ‚Schande’ und als Zeugnis der moralischen Verderbtheit ihrer Mutter angesehen wurden. Im Mutter-Kind-Heim der westirischen Kleinstadt Tuam, auf das sich die Medien derzeit besonders konzentrieren, lag die Sterblichkeit bei 35 Prozent, in anderen Heimen waren es sogar bis 60 Prozent. Was mit den Kinderleichen geschah wird derzeit untersucht – ein anständiges Begräbnis erhielten nur die wenigsten.
Man fragt sich, wer mehr zu bedauern war: die uneheliche Mutter oder das Kind? Bei einem Treffen früherer Insassinnen eines Mutter-Kind-Heimes in Cork sagte eine Frau: „All diesen Müttern hat man das Herz gebrochen! Viele von uns, auch ich selbst, suchen das ganze Leben lang irgendetwas, das uns diesen Verlust kompensiert, aber das funktioniert nicht. Wenn dein Baby weg ist, ist auch dein Leben weg.“
Die überlebenden Kinder wurden in den Schulen schlecht behandelt, ausgegrenzt, verspottet – von den Nonnen und nach ihrem Beispiel auch von den Mitschülern: Sie waren quasi Freiwild. Wenn sie großes Glück hatten, kamen sie zu einer Familie, in der es ihnen gut ging. Auf die Frage nach ihrem Schicksal bekamen weder die leiblichen Mütter Auskunft noch erhielten die Kinder Zugang zu den Daten ihrer Herkunft.
Zum Weiterlesen:
http://www.zeit.de/gesellschaft/2014-06/irland-kinderheim-bon-secours-gewalt
http://de.radiovaticana.va/news/2014/06/10/irland:_umfassende_untersuchung_gefordert_nach_fund_von_kinderleichen/ted-805936
http://www.theguardian.com/world/2014/jun/13/mother-behind-galway-childrens-mass-grave-story
http://www.irishtimes.com/news/social-affairs/tuam-mother-and-baby-home-the-trouble-with-the-septic-tank-story-1.1823393
http://www.thejournal.ie/explainer-tuam-babies-1502773-Jun2014/
https://www.thepiercecountytribune.com/page/content.detail/id/534909/Media-exaggerated-horror-tale-at-Irish-orphanage.html?isap=1&nav=5040