Anfänge der Hormonforschung: Sterilisation sollte zur ewigen Jugend verhelfen
Eugen Steinach verfolgte viele richtige und einen falschen Weg
Große Berühmtheit nicht nur in medizinischen Kreisen sondern sogar in den literarischen Salons der großen Welt genoss der aus Hohenems in Vorarlberg stammende Eugen Steinach (1861-1944). Durch seine Forschungen über die Physiologie der Hormon-Drüsen lieferte er wesentliche Grundlagen für die Entwicklung der Antibabypille. Er verfasste über 60 wissenschaftliche Aufsätze und Bücher; zwischen 1921 und 1938 wurde er nicht weniger als elfmal für den Nobelpreis vorgeschlagen.
Doch in breiten Kreisen bekannt wurde Steinach durch seine „Anschauung …, daß Jugend, Altern und Tod des Menschen nur ein rein physiologischer Ablauf sind wie das ganze Wachstum. … Steinach sagte sich nun, wenn es gelänge, die Tätigkeit (der) Pubertätsdrüse wieder zu steigern, daß dann die austretenden Alterserscheinungen notwendigerweise verschwinden müßten.“1 Dazu experimentierte er mit ‚Reaktivierungsmethoden‘, durch die er die körpereigene Produktion des männlichen Geschlechtshormons Testosteron anregen wollte, um einen Verjüngungseffekt zu erzielen. Nach anfänglichen Versuchen mit Hodenverpflanzungen entschied er sich für die Durchtrennung der Samenleiter; bei diesem ‚Steinachschen Verfahren’ handelte es sich also um eine Vasektomie, die Sterilisation des Mannes. In zeitgenössischen Medizinbüchern konnte man lesen: „Vor kurzem ging durch alle Zeitungen eine Kunde, die aus dem stillen Laboratorium eines berühmten Mediziners hervordrang, und die ganz Kulturwelt dazu brachte, mit gespannter Erwartung aufzuhorchen. Diese Kunde bestand in nichts geringerem als der Mitteilung, es sei dem Professor der Biologie an der Wiener Universität, Eugen Steinach, gelungen, greisen Menschen durch eine ungefährliche Operation ihre längst entschwundene Jugendkraft wiederzugeben. Kein Wunder, daß eine solche Nachricht in aller Welt eine tiefgehende Erregung hervorrief. Denn ein sicheres Mittel zur Verjüngung des altersschwach gewordenen Körpers gehört zu den Sehnsuchtsträumen und zu den heißesten Wünschen der Menschheit.“ 2
Zu seinen prominenten Fans zählte beispielsweise der irische Literaturnobelpreisträger William Butler Yeats der die anregenden Auswirkungen der Operation in den höchsten Tönen pries: „Nicht nur meine Kreativität wurde wiederbelebt, sondern auch mein sexueller Appetit. Und dies wird wahrscheinlich bis an mein Lebensende so bleiben.“ Auch Albert Lorenz, bekannter Orthopäde und Vater des Verhaltensforschers Konrad Lorenz, sowie der österreichische Psychiater Sigmund Freud ließen sich ‚steinachen‘, Freud allerdings aus therapeutischen Gründen: Er wollte so das Fortschreiten seiner Krebserkrankung verlangsamen.
Steinach war nicht der erste, der Verjüngung versprach. Entsprechende Konzepte wurden in wissenschaftlichen Kreisen verschiedener Länder schon seit Ende des 19. Jahrhunderts heiß diskutiert und führten regelmäßig zu Schlagzeilen. In den 1920er-Jahren kam es gleichsam zu einem Steinach-Hype: Der Komponist Willy Kaufmann schrieb den Foxtrott ‚Steinach-Rummel‘, die Zeitschrift Simplicissimus nahm in 23 Beiträgen auf ihn Bezug, auch der Schriftsteller Arthur Schnitzler war an den Steinach’schen Forschungen sehr interessiert und Karl Kraus erwähnte ihn mehrfach in der ‚Fackel‘. In Alfred Döblins Buch ‚Berlin Alexanderplatz‘ von 1929 kommentiert eine Freundin Franz Biberkopfs das Aussehen ihres ehemaligen Geliebten Reinhold: „ … ich sag dir, Franz, du fasst dir an die Stirn, was ist denn mit dem passiert, hat er sich steinachen lassen …?“ Sogar der Film nahm sich Steinachs Experimenten an: 1922 drehte die UFA mit großem Aufwand darüber einen Lehrfilm für das Fachpublikum. Im Jahr darauf entstand gegen Steinachs Willen eine populäre Fassung, die das Material unterhaltsam und für eine breite Öffentlichkeit neu arrangierte, und im UFA-Filmpalast in Berlin vorgeführt wurde.
Verjüngungsversuche mit schrecklichen Auswirkungen
Die längst verlassene These, wonach eine Sterilisation den Alterungsprozess stoppen könnte, beschränkte sich nicht auf Männer. „Bei Frauen ist das Steinachsche Operationsverfahren nicht so leicht auszuführen wie beim männlichen Geschlecht, und er hat es daher vorgezogen, bei ihnen von dem chirurgischen Eingriff abzustehen, und die Neubelebung der Pubertätsdrüse im Eierstock durch Röntgenstrahlen zu bewirken. In der Mehrzahl der Fälle war es auf diesem Wege gelungen, den allgemeinen Kräftezustand der behandelnden Frauen zu heben und ihnen eine verjüngtes Aussehen zu verleihen.“ Eine der prominenten Patientinnen war die amerikanische Schriftstellerin Gertrude Atherton, die ihre Erfahrungen mit der Verjüngungstherapie im Buch ‚Black Oxen‘ (1923) schilderte, das zum Verkaufshit wurde. Sie hatte sich im Alter von 66 Jahren behandeln lassen und fühlte sich um 30 Jahre verjüngt.
Im Gegensatz zu einer Sterilisation handelte es sich hier aber um eine Kastration als Folge der Schädigung durch Röntgenstrahlen: Es wurden nicht Funktionen außer Kraft gesetzt sondern Organe in ihrer Funktion gestört. Die sich langsam entwickelnden schrecklichen Auswirkungen der weiblichen Kastration schildert Emile Zola 1899 in seinem Werk ‚Fruchtbarkeit‘:
„Der Arzt lächelte gelassen, zuckte die Achseln … versicherte ihr, daß neun- und zehnmal die operierten Frauen sich verjüngen, bis zu fünfzig Jahren frisch bleiben, sich im Gegenteil als noch leidenschaftlicher erweisen, was sogar als einer der Nachteile der Operation zu betrachten sei.“
„Und von einem Ende der Stadt zum anderen verbreitete sich der Ruf seiner Erfolge, feierte man diese wunderbare Meisterschaft, die er sich durch die Übung an Tausenden armer Frauen in seiner Klinik erworben hatte - eine Meisterschaft, die aus ihm ein Idol machte, das man mit Gold überhäufte, den souveränen Kastrierer aller verdrehten Millionärinnen.“
„Sie zog ihre Handschuhe aus und legte Hut und Schleier ab. Er sah sie, wie sie ihm bereits bei ihren gelegentlichen Begegnungen erschienen war, aber wahres Entsetzen faßte ihn, als er sie nun näher betrachtete und sah, welch furchtbarer Verwüstung sie anheimgefallen war. Er rief sich in Erinnerung, wie sie vor wenigen Jahren mit fünfunddreißig noch ausgesehen hatte, die dreiste Schönheit ihres Gesichtes, ihre hohe, gebietende Gestalt, ihr flammendes Haar, die herausfordernden Brüste und Schultern, ihre weiße, runzellose Haut. Welch furchtbarer Gifthauch war über sie hingefahren, daß sie plötzlich so gealtert war, einem Gespenste gleich, als ob der Tod sie schon erfaßt hätte, und er das fleischlose Skelett der Frau vor sich sähe, die er einst triumphierend gekannt hatte? Sie war hundert Jahre alt.“
Die vermeintliche Verjüngung mittelalter bis alter Männer durch Hodentransplantation oder Sterilisation erwies sich bald als unwirksam. Längere Beobachtungszeiten, genauere statistische Analysen sowie das zunehmende Wissen über Hormone, speziell über die Wirkung von Sexualhormonen, beendeten derartige Experimente. Die pure Einbildung hatte euphorisierend gewirkt, in medizinischer Terminologie handelte es sich um einen ‚Placebo-Effekt‘.
Viel tragischer war die Auswirkung bei Frauen: Die Zerstörung der Eierstöcke durch Röntgenstrahlen und/oder die Entfernung der Gebärmutter führen zu einem plötzlichen Abfall der Hormonproduktion, der heute durch Hormonersatztherapie aufgefangen wird. Andernfalls kommt es zu einem abrupten und heftigen Einsetzen der Wechseljahre. So wirkt beispielsweise das Hormon Östrogen nicht nur auf die Sexualfunktionen sondern auch auf die Knochen; eine Verminderung des Östrogenspiegels im Blut kann zu Osteoporose (Knochenschwund) führen. Östrogene haben weiters eine stimulierende Wirkung auf das Immunsystem und erhöhen im Hirn die Sensibilität für das Hören; ein verminderter Östrogenspiegel verschlechtert entsprechend das Hörvermögen. Das Hormon ist auch essentiell für das Speichern von Gedächtnisinhalten von Geräuschen und Sprache. Erst viele Jahre der Hormonforschung klärten derartige Zusammenhänge auf.
Quellen:
1M. O. Schramm et al.: Menschheitsverjüngung. In: Die neue Hausärztin, Verlag Parcus & Co, ca. 1910, München, 278.
2 P. Bergmann: Praktischer Hausschatz der Heilkunde, Nordhausen: Verlag Heinrich Killinger, ca. 1925.
S. Walch: Triebe, Reize und Signale - Eugens Steinachs Physiologie der Sexualhormone, Böhlau, 2016,http://www.pratercottage.at/2011/07/08/der-mann-der-yeats-verjungte/