Die Pille hat viele Mütter und Väter
Ludwig Haberlandt, Gregory Pincus, John Rock, Carl Djerassi und viele andere - wie bei anderen bahnbrechenden Neuerungen trugen auch bei der Antibabypille mehrere Wissenschafter zur Entwicklung bei - und vermarkteten ihren Beitrag anschließend unterschiedlich - manche lauter, andere leiser. Einer von den Leisen, aber nichtsdestotrotz sehr Wichtigen, war der Gynäkologe Ferdinand Peeters[1] (1918-1998), damals Leiter der Geburtshilfeabteilung der Klinik von Turnhout, einer Kleinstadt im Norden Belgiens.
Ihm verdanken wir die weltweit erste Pille in Deutschland Anovlar: Er untersuchte, bewertete und entwickelte die Dosierung eines Schering-Forschungspräparates (bestehend aus Noresthisteronacetat und Ethinylestradiol), das ursprünglich zur Behandlung von Menstruationsbeschwerden eingesetzt werden sollte. Peeters sah darin aber ein taugliches Instrument für die Verhütung einer Schwangerschaft und konnte die Zustimmung des Unternehmens für seine Versuchsreihen erhalten. Er wählte für seine Untersuchungen Patientinnen aus, für die eine weitere Schwangerschaft lebensbedrohend gewesen wäre, oder die Gefahr liefen, ein Kind tot auf die Welt zu bringen, etwa wegen Rhesus-Inkompatibilität. Als Ergebnis seiner Tests empfahl er als bestgeeignete Hormonkombination 3 bis 4 mg Noresthisteronacetat plus „mindestens“ 0,05 mg Ethinylestradiol.
Nach der Überprüfung und Bestätigung seiner Ergebnisse durch groß angelegte Untersuchungen in Deutschland, Australien, Japan und den USA bei 14,038 Monatszyklen von 2433 Frauen wurde Anovlar weltweit eingeführt: Im Februar 1961 in Australien, noch im selben Jahr in Deutschland und der Schweiz, 1962 in Österreich. Es folgten Frankreich, Spanien, Belgien und Italien.
Im Gegensatz zu Pincus' Enovid enthielt Anovlar rund 2/3 weniger Hormon sowie eine andere Hormonkombination: Sie war genauso wirksam, hatte aber deutlich weniger Nebenwirkungen. Tatsächlich war Enovid von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA nur für 2 Jahre zugelassen worden, bis wissenschaftliche Untersuchungen seiner Langzeitwirkung vorgelegt werden konnten. Denn rund die Hälfte der Enovid-Patientinnen litt unter unregelmäßigen Blutungen; viele klagten über heftige Gewichtszunahmen, Schwellungen von Händen, Füßen und dem Gesicht, einige entwickelten Gelbsucht und bei zwei Frauen stellte sich sogar eine verfrühte Menopause ein. Das ursprüngliche Anwendungsgebiet von Enovid waren Regelstörungen, tatsächlich wurde das Produkt aber als Verhütungsmittel eingesetzt. Der Nachteil von Pincus' Pille lag in dem verwendeten Östrogen. Die Bedeutung dieses weiblichen Geschlechtshormones für den Ablauf des weiblichen Zyklus war den Wissenschaftern noch nicht bekannt.
Aus Angst vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes durch den Einfluss der Christlichen Volkspartei beendete Peeters seine Hormonforschungen: Aufgrund des Verbotes der Pille (1968) durch die katholische Kirche sah er sich entsprechenden Drohungen ausgesetzt. Obwohl selbst Katholik unterstützte er die Position der katholischen Kirche nicht, war andererseits aber erschrocken über seinen Beitrag zur sexuellen Revolution der 1970er-Jahre, die der Entwicklung sicherer Verhütungsmittel folgte. Aber auch im sehr katholischen Belgien waren Peeters Forschungen bzw. Veröffentlichungen darüber unerwünscht: Bis 1973 liefen Veröffentlichungen über Verhütung Gefahr, gegen die belgische Gesetzgebung zu verstoßen, die sie als obszön betrachtete.
[1]Zu Leben und Werk siehe Karl van den Broeck: Doctor Ferdinand Peeters – The Real Father of the Pill, Verlag Gompel&Svacina, 2018, ISBN 9789463710541