Sicherheit, Schmuck oder Tarnung - die Verpackung der Antibabypille
Dinge unseres Alltags sollen schön sein - Rucksack, Kugelschreiber, Lippenstift, Teetasse, Küchenmesser, Auto, alles wird gestaltet. Sogar Hörgeräte und Rollstühle schauen nicht mehr so krank aus wie früher. Das Design von Medikamentenpackungen erinnert hingegen stark an die Intensivstation im Krankenhaus. Zum einen, damit wir die Pillen, Kapseln und Dragees nur ja nicht mit Gummibärlis verwechseln und uns ‚einfach so' in den Mund stopfen, zum anderen sind die Zielgruppen für die Verpackung nicht die KonsumentInnen sondern die VerschreiberInnen. Auch die Lagerungsbedingungen in der Apotheke werden berücksichtigt, die mögliche Verwechslungsgefahr mit ähnlich aussehenden Verpackungen und schließlich will sich auch der Hersteller ‚verewigen'.
Wer chronisch krank auf Medikamente angewiesen ist, zerbricht sich wohl nicht den Kopf über die Gestaltung seiner Lebensretter. Doch wer sich für die Verhütung mit der Pilleentschieden hat und die Packung möglichst immer und überall mit sich trägt - man weiß ja nie, wo man heute übernachten wird - hätte auch gerne etwas Fröhliches in der Handtasche. Selbst ist daher die Frau: Auf die Kombination ‚Pille + Aufbewahrung' liefert Google eine Reihe von Vorschlägen. Beutel aus Wollfilz, peruanischer Baumwolle oder Plastik, verziert mit einem Rehkitz oder bunten Streifen, mit gestickten Aufschriften ‚Mädelskram',‚Vergißmeinnicht' oder gar dem erregenden ‚Nimm mich!' und sogar ein zusätzlicher Erinnerungs-Piepston ist möglich. Unterhaltungsprogramm in der Handtasche.
Überraschenderweise war es nicht immer so, dass frau die Pillenachträglich behübschen musste. Im Gegenteil, viele Packungen aus den 1970ern sind eine wahre Augenweide! Elegant gestaltet, geschmackvoll, liebevoll designt, aufwändig produziert, edlen Puderdosen nachempfunden, kleine Kostbarkeiten eben. Endlich war sie da, die wirksame Verhütungsmethode. Endlich konnten Frauen genau so über ihr Leben verfügen wie Männer es konnten. Sobald die Hürde der Verschreibung genommen war - in den ersten Jahren bekam sie nur, wer verheiratet war und schon mindestens zwei Kinder hatte - begann für viele Frauen ein neues Leben, ohne monatliche Ängste. Die Pille wurde zum Ziel der Sehnsüchte, zum Idol der Emanzipation, zum Symbol für ein selbstbestimmtes Leben. Sobald die Industrie das Risiko der Ablehnung durch die Ärzteschaft gegen den schier grenzenlosen Markt abgewogen und sich für den Markt entschieden hatte, lieferte sie kleine Kunstwerke - in chemischer wie in designtechnischer Hinsicht.
Die ersten Pillen kamen in braunen Glasfläschchen und erforderten viel Aufmerksamkeit: Die Einnahme musste am 5. Tag nach dem Start der Menstruation begonnen und durch 20 Tage fortgesetzt werden. Zwei bis drei Tage nach der letzten Tablette setzte die Entzugsblutung ein. Um die ständige Fragerei „Habe ich/hast Du heute schon die Pille genommen?" zu beenden, machte sich der Produktionsingenieur einer Werkzeugfirma, D. P. Wagner aus Geneva, Illinois, an die Konstruktion eines entsprechenden Behelfs für seine Frau. Sein Dispenser kam unter dem Namen Dialpak auf den Markt und sollte die richtige und regelmäßige Einnahme sicherstellen.[1]
Der nächste Schritt, nämlich die drehbare Scheibe in eine Puderdose zu verpacken, beruht auf einer Idee von John Rock, der die Pille gemeinsam mit Gregory Pincus zur Marktreife entwickelt hat. Er wollte sicherstellen, dass niemand erkennen kann, wenn eine Frau die Pille nimmt.[2] Wenn der kanadische Journalist Malcolm Gladwell auch indirekt den Papst für dieses Design der Antibabypille verantwortlich macht („It remains, in other words, a drug shaped by the dictates of the Catholic Church."), so war es wohl eher die Gesellschaft, die den Frauen argwöhnisch in die Handtasche schaute. Möglicherweise sogar der eigene Ehemann: In einer Befragung sprachen sich einige Männer gegen die Pille aus, weil sie lieber ein ‚scheues Reh' im Bett haben wollten als eine Sex-fordernde Vollblutfrau. In einem Fortsetzungsroman aus den 1970ern sagte der männliche Protagonist zu seiner Angetrauten: „Solange Du die Pille nimmst, wirst Du sie von mir aus nicht brauchen."
Da war es doch weise, aus der Pilleneinnahme ein Geheimnis zu machen.
So lassen sich also unterschiedliche Motive für die Gestaltung der frühen Pillenpackungen identifizieren: Hilfe zur richtigen und regelmäßigen Einnahme, Tarnung, Wertschätzung, Idealisierung und vielleicht noch ein Schuss purer Gestaltungsfreude. Ein schönes Beispiel ist die Pille Zorane™der Firma Lederle aus dem Jahr 1974 (USA): Die drei verschiedenen Dosierungen waren optisch auseinanderzuhalten; rosa, hellblau oder hellgrün waren die Tabletten selbst, die Patientinneninformation, die 'Puderdose' sowie der jeweilige Überkarton.
[1] https://tenthingsthepill.weebly.com/design-packaging.html
[2] M. Gladwell: John Rock's Error, New Yorker v. 13. 3. 2000.