Im Oktober 2019, jährt sich zum 150. Mal die Unterzeichnung des österreichisch-japanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags von 1869.
Ein wichtiger Bereich wird in dieser Aufzählung allerdings vergessen: Die Medizin.
Ein Beispiel für die wechselseitige Beeinflussung liegt uns besonders nahe: Je nach geografischem Standpunkt des Betrachters wird es Knaus-Ogino-Regel oder Ogino-Knaus-Regel genannt. Sie erklärt, warum frau nur an manchen Tagen schwanger werden kann, an welchen und warum. Aufgrund der von der Natur festgelegten zeitlichen Distanz zwischen dem Eisprung und der nachfolgenden Menstruation ist die Berechnung möglich. Als Verhütungsmethode eignet sich die Knaus-Ogino-Regel schlecht, weil sie nicht verlässlich ist. Bei unerwünschter Kinderlosigkeit ist sie hingegen ein hilfreicher erster Schritt auf dem langen Weg.
Doch ohne die Grundlagen durch die Forschungen und Erkenntnisse von Hermann Knaus und Ogino Kyūsaku wären die modernen Verhütungskonzepte – etwa die Entwicklung der Pille - nicht möglich gewesen.
Der Österreicher Hermann Knaus (1892-1970) ist uns wohlbekannt, über sein Leben und Werk liegt ein ausführliches Buch vor. Ogino Kyūsaku (1882-1975) ist der Forschung hingegen schwer zugänglich; zum einen aufgrund der Sprache – ein altertümliches Japanisch -, zum anderen weil in europäischen Bibliotheken nur sehr wenige seiner Werke im Original zur Verfügung stehen.
Obwohl wir uns am Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch vorwiegend mit europäischen Themen beschäftigen, ist unser Interesse international. Das betrifft Methoden und Instrumente, Forscher und Entwickler, Schicksale und Schilderungen, Verordnungen und Gesetzesmaterien. Durch Kontakte mit ÄrztInnen, MedizinhistorikerInnen, SoziologInnen und BesucherInnen aus aller Welt lernen wir dazu und erhalten Material für unsere Sammlung, unser Archiv und unsere Bibliothek.
Der japanischen Gynäkologin und Forscherin Dr. Tomoko T. Saotome vom Louis Pasteur Center in Kyoto/Japan verdanken wir einen wichtigen Neuzugang: Eine Kopie von Oginos Werk Gynecological Conception, das im Jahr 1934 in Tokyo als Band 9 der Serie Obstetrics and Gynecological (Kinoshita sanka fujinka sōsho. 9, Fujin no jutaiki) herausgekommen ist. Herausgeber war Prof. Kinoshita Masanaka von der Universität Tokyo, an der Ogino seine Ausbildung bekommen hatte. Voller Stolz auf seinen Schüler schrieb Kinoshita im Vorwort: „Ich bin davon überzeugt, dass dieses Werk nicht nur einen Beitrag zur Medizin, sondern auch zur Gesellschaft leisten wird.“
In diesem Zusammenhang ist es wissenswert, dass Ogino bereits im Jahr 1924 mit seinen Erkenntnissen an die Öffentlichkeit getreten war – also fünf Jahre früher als Knaus. Deutsch war in Japan die Sprache der Medizin, weshalb Ogino die einschlägige Forschung ganz gut kannte. Hingegen beschränkten europäische und amerikanische Wissenschafter ihr Interesse auf die ihnen zugängliche medizinische Fachliteratur, wodurch sie beispielsweise Oginos Forschungen erst wahrnahmen, als er persönlich nach Deutschland reiste. Die beidenRechenmethoden sind getrennt voneinander und durch unterschiedliche Forschungszugänge entstanden, unterscheiden sich aber nur wenig voneinander. Oginos wesentliche Leistung war es, die bis dahin angewandte Zählmethode nach Zykluswochen durch die wesentlich genauere Tagezählung zu ersetzen.
Der eher praxisbezogene Teil des Neuzuganges unserer Bibliothek existiert bereits in einer englischen Übersetzung von 1935, doch lässt sich auch für den Sprachunkundigen anhand der umfangreichen Literaturliste erkennen, dass andere Bereiche noch gar nicht übersetzt worden sind und auf ihre wissenschaftliche Auswertung warten.
S. Krejsa MacManus, C. Fiala: Der Detektiv der fruchtbaren Tage: Die Geschichte des Gynäkologen Hermann Knaus (1892-1970), Verlagshaus der Ärzte.
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