1970: Jochen Rindt und Hermann Knaus haben einiges gemeinsam
Am 5. September 1970 verunglückte der in Graz aufgewachsene Formel-1-Pilot Jochen Rindt in Monza; wenige Tage zuvor, am 22. August 1970, war der österreichische Gynäkologe und Wissenschafter Hermann Knaus in Graz verstorben. So unterschiedlich die beiden waren, so gibt es doch auch erstaunliche Parallelen.
„Rindt ist der Großvater des großen österreichischen Motorsports,“ würdigte der ehemalige Autorennfahrer Gerhard Berger sein großes Vorbild. Und sein belgischer Kollege Jacky Ickx: „Jochen hat vielen weiteren österreichischen Piloten die Tür in die Formel 1 geöffnet".
Auch Hermann Knaus war ein Wegbereiter, allerdings auf einem anderen Gebiet: Als Entdecker der fruchtbaren und unfruchtbaren Tage im Monatszyklus der Frau im Jahr 1929 haben er (und sein japanischer Kollege Ogino Kyusaku) die Basis für die Entwicklung der modernen Verhütungsmittel geschaffen. Obwohl Knaus ein vehementer Gegner der Pille war – aus ‚moralischen Gründen‘ -, öffnete sein Wissen die Türe für Fruchtbarkeitsforschung und effektive Familienplanung. Auch die Fortschritte der künstlichen Befruchtung wären ohne seine grundlegenden Erkenntnisse nicht möglich gewesen.
Sogar in ihrer Arbeitsweise ähnelten Rindt und Knaus einander: Beide trieb der unbedingte Wille zur Perfektion. In seinen wissenschaftlichen Versuchen ‚spielte‘ Knaus immer mit denselben ‚Bausteinen‘, veränderte aber den Versuchsaufbau. Er fragte sich: Erhält man unterschiedliche Ergebnisse, je nachdem, ob man dem Versuchstier die Substanz in den Mund oder in den Magen, in den Dünndarm oder in den Enddarm einflößt? Wirkt die Substanz am 32. Tag der Schwangerschaft eines Kaninchens anders als am 18. oder am 9. Tag? Knaus hasardierte nie und wurde nie müde – er kontrollierte jedes Detail. Im Kräftemessen mit Kollegen und Kritikern machte das seine Stärke aus. 1936 wurde er sogar für den Nobelpreis vorgeschlagen.
Das Schicksal führte sie nie zusammen, aber die Distanz ist nicht sehr groß: Jochen Rindt wurde in einem Ehrengrab am Grazer Zentralfriedhof bestattet – sieben Kilometer entfernt von der Grazer Universitätsfrauenklinik, an der Knaus seine bahnbrechenden Forschungen durchführte. Knaus liegt in seinem Geburtsort Spittal an der Drau in einem Grab, für das die Gemeinde die Fürsorge übernommen hat.
Hinsichtlich sonstiger Ehren schneidet Knaus leider ebenfalls nicht ganz so gut ab wie Rindt: So gibt es zwar beispielsweise seit 1982 eine Jochen-Rindt-Strasse (in Wien-Liesing) und in Graz wird die Eröffnung eines Jochen-Rindt-Platzes gleich nach Ende der Corona-Einschränkungen erfolgen. Hermann Knaus wartet hingegen immer noch auf die entsprechende Würdigung durch seine engere oder weitere Heimat. Keine Briefmarke ehrt ihn, keine Gedenkmünze. Nicht einmal eine Straße oder ein Platzes in seinem Geburtsort St. Veit tragen seinen Namen. Nur durch Privatinitiative hat er es (wenigstens) zu zwei Gedenktafeln gebracht, auch wenn Rindt ihn diesbezüglich zahlenmäßig weit in den Schatten stellt: Eine ist an Knaus‘ Geburtshaus in St. Veit, die andere erinnert an seine Zeit als Vorstand der gynäkologisch-geburtshilflichen Klinik der deutschen Universität in Prag.
Was gibt es sonst noch an Parallelen? Beide stammten aus einer Kaufmannsfamilie, beide hatten eine Tochter. Das wars auch schon.
Mehr dazu https://muvs.org/de/museum/dokumentationsarchiv-knaus/
Weiterführende Literatur:
Der Detektiv der fruchtbaren Tage - Die Geschichte des Gynäkologen Hermann Knaus (S. Krejsa MacManus, C. Fiala), Wien: Verlagshaus der Ärzte, 2016. ISBN 978-3-99052-146-5.
Heimlichkeit. Ein Mord erschüttert ein Museum, über das man nicht spricht, (S. Krejsa MacManus, C. Fiala), Berlin: Omnino, 2020, ISBN: 978-3-95894-158-8 (Print) / 978-3-95894-159-5 (E-Book)