Verhütung vor 100 Jahren: Guter Beginn, tragisches Ende.
Für heutige Begriffe waren die vor 100 Jahren entwickelten Manipulationen zur Verhütung absolut abtörnend, doch damals ein wahrer Segen, denn Verhütung galt als unsittlich und war daher kaum möglich. Es standen nur (dicke) Kondome, strikte Enthaltsamkeit über Jahre oder das ‚Sichinachtnehmen’ zur Verfügung. ‚Was hat der Mensch dann noch vom Leben‘, fragte sich der deutsche Arzt Wilhelm Peter Johann Mensinga (1836-1910): „...trotz Not, Krankheit und Schwächezuständen ist die Liebe das einzige Vergnügen der armen Leute. Der menschlich denkende Arzt möge sie nur vor den lebenstötenden Folgen bewahren, sie davor schützen.“
Nachdem er gegen heftigen Widerstand – auch seiner Berufsgenossen - das Diaphragma entwickelt und bekannt gemacht hatte, bemühten sich viele Ärzte, Drogisten und Wissenschafter aus aller Welt um weitere Verbesserungen: Materialien, Stabilisierungsmethoden gegen Verrutschen, bessere Elastizität, leichtere Anwendung etc. waren ihr Ziel. Im Jahr 1928 lagen bereits 80 deutsche Patente für Diaphragmen vor, gemäß Mensingas Credo: „Es ist die Pflicht jedes Menschenfreundes, immer dort Empfängnis zu verbieten, wo das Leben, die Gesundheit und Wohlfahrt der Mutter, durch (weitere) Schwangerschaften gefährdet erscheint.“
Eines dieser Neuerungen war das kombinierte Luftkissenpessar „Sekura“ des Wismarer Tierarztes Dr. Wilhelm Leonhardt (1875-1942). Neben seiner Karriere als Militärtierarzt war er auch ein Erfinder und Tüftler. Er machte sich daran, die in Russland verwendeten „Luftpessare“ zu verbessern, die zusammengefallen in die Scheide eingeführt und dann mit Luft von außen aufgefüllt wurden, also eine Art Luftkissen-Gummiballon. Diese schließen samendicht und sind leicht einzuführen, aber leichter verletzlich und durch den nach außen führenden Anteil, durch den die Luft eingeblasen wird, eher störend im Gebrauch (Ludwig Fraenkel: Die Empfängnisverhütung - Biologische Grundlagen, Technik und Indikationen, 1932, S. 143). Leonhardts Weiterentwicklung bestand aus einem Gummibeutel, an dem ein dünner Schlauch befestigt war. Dieser Gummibeutel wurde mit Hilfe einer Glasröhre (Induktor) in die Scheide eingeführt und mit Luft aufgeblasen, damit er nicht verrutscht. Nach Verwendung konnte die Luft wieder ausgelassen und der Gummibeutel aus der Scheide entfernt werden. 1928 stellte Leonhardt seine Erfindung auf dem Ärztekongress für Geburtenregelung in Berlin vor und im Jahr darauf auf dem 3. Internationalen Kongress für Sexualreform in London, wo sie internationale Anerkennung fand und von Fachärzten als sicher gelobt wurde. Zusätzlich entwickelte Leonhardt zusammen mit dem Wismarer Apotheker H. Möller die Salbe „Secuplast“ zur Vorbeugung sexuell übertragbarer Infektionen.
Mutterschutz, Geburtenregelung und Sexualreform waren ihm ein großes Anliegen. Doch wurde Geburtenkontrolle vom aufkommenden Nationalsozialismus heftig bekämpft, Ziel war vielmehr eine „nationalsozialistische Bevölkerungspolitik“. Leonhardts Aktivitäten scheinen jedoch bald politisch unerwünscht gewesen zu sein, 1941 wurde er von der Gestapo verhaftet und 1942 in das KZ Sachsenhausen deportiert, wo er im Juni 1942 starb. Die offizielle Todesursache lautete Tuberkulose. Im August 2013 wurde seinem Andenken ein Stolperstein in Wismar gewidmet.