„Jede und jeder kennt jemanden, die ….“ - Familienplanung in der Weltliteratur
Zitat aus einer APA-Meldung: „Da an jeder Abtreibung etwa drei Personen beteiligt sind, begehen in Österreich rund 600.000 Personen im Jahr ein Verbrechen. Das bedeutet, dass in neun Jahren das ganze Bundesvolk - mit Ausnahme der Kinder - dieses Verbrechen begeht.“ 1
Zum Beispiel die Schriftstellerin Vicki Baum (1888 Wien - 1960 Los Angeles):
Stud. chem. Helene Willfüer (Roman, 1956)
„Aber die kranke Frau, die auf dunkle Weise versucht hat, ihre sechste Schwangerschaft zu unterbrechen, und die ganz müde und zufrieden und ausgeblutet daliegt, die möchte lieber sterben. Sie hat es ausdrücklich und mit letzter Kraft der Schwester versichert, und es ist beinahe eine Grausamkeit, daß ein Assistenzarzt versuchen will, eine Bluttransfusion an ihr auszuführen.“
„ …soll ich Ihnen sagen wie viele Mütter zugrunde gehen bei dem Versuch, sich ihrer Kinder zu entledigen? Und wie sie zugrunde gehen, Frau Schmidt, wie, in welcher furchtbaren Weise?“
„Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen“, antwortete Helene leise.
„Immer der gleiche Jammer, jeden Tag der gleiche Jammer. Bei Ihnen kommt’s von der einen Seite und bei den anderen von woanders. Ich kann nicht helfen, ich darf nicht helfen. Ich muß diese armen Weiber wegschicken, die fünf und sechs und sieben Kinder haben und vor Elend nicht aus und ein wissen. Ich – wenn es nach mir ginge! Da wäre bei den Wohlfahrtseinrichtungen längst eine, in der der Kindersegen offiziell geregelt würde. Aber bis dahin ist’s weit. Und wir haben unseren ominösen Paragraphen. Sie studieren. Auch ich habe studiert, o ja, ich weiß gut, wie schwer man es hat. Können Sie wirklich von mir verlangen, daß ich meine ganze Existenz aufs Spiel setze? Ich kann es nicht. Frau Schmidt, ich darf und kann es nicht. Und ich kann Sie nur aus aller Kraft davor warnen, sich Pfuschern anzuvertrauen. Ich sehe täglich zu viel Elend dieser Art. …“…
„Vicky Baums Texte sind stets nahe an den Realitäten, die sie beschreiben, und zeichnen so ein detailreiches Gesellschaftsbild ihrer Zeit." Bayerischer Rundfunk, 18. Mai 2015
Zum Beispiel Helmut Qualtinger (1928 Wien – 1986 Wien:
Die alte Engelmacherin (Songtext, 1957)
„Die alte Engelmacherin vom Diamantengrund / die gibt´s heut nimmer mehr / So manchem Mäderl, das in Not war / und vor Angst und Scham halb tot war / hat gerettet sie die Ehr´ / Sie hat an Floh gemacht aus jedem Elefanten und
erwarb viel Sympathie. / Denn hat man heut auch keine Sorgen / hat man sie vielleicht schon morgen / und an Ausweg´ wußt´ nur sie / Ihre Kundinnen, die waren niemals skeptisch / sie blieben ihr ein ganzes Leben treu / Und war ihr Werkzeug einmal nicht ganz antiseptisch / dann machte sie statt einem Engerl zwei.
Die alte Engelmacherin vom Diamatengrund / verteidigte sich dann / „Überlegt´s euch doch a wengerl / s´gibt im Himmel so viel Engerl / und auf ein, zwei mehr kommt´s einfach nimmer an."
„Sie hat viel Katastrophen verhindert / auch die Wohnungsnot hat sie sehr gelindert / und sie hat, auch wenn´s niemanden kümmert / Atome zertrümmert als erste in Wien / Sie verzichtete auf jeden Titel / ganz bescheiden waren ihre Mittel / Was die Ärzte erreicht hab´n mit viel Evipan / hat sie nur mit´n Gottvertraun g´tan / Und manchmal, als Lohn für ihr edles Bemüh´n / da kommen die Engerln auf Urlaub nach Wien / Zur alten Engelmacherin vom Diamantengrund / die liebten sie so sehr / Denn ihre Hilfe war für alle / und ihr Sinn für´s Soziale / war beinah´ schon legendär.“
„Die alte Engelmacherin hat jeder g´kannt am Grund / sogar die Polizei / Ja, aber auch ein Polizeirat / is´ ein Mensch und is´ verheirat´ / deshalb fand er nichts dabei / Jedoch es gibt im Leben immer wieder Neider / die Ärzte hab´n ihr Handwerk abgestellt / Die machen jetzt genau dasselbe, aber leider / verlangen´s dafür zehnmal soviel Geld / Die alte Engelmacherin vom Diamantengrund / hat das net lang ertrag´n / und sie is´ nach ein paar Jahr´n / leider selbst ein Engerl word´n / und dann hab´n die andern Engerln sie derschlag´n / Hallo!“
Zum Beispiel Peter Handke (* 1942): Wunschloses Unglück (Erzählung, 1972)
„Sie gingen viel aus und waren ein schönes Paar. Wenn er betrunken war, wurde er frech und sie musste streng zu ihm werden. Dann schlug er sie, weil sie ihm nichts zu sagen hatte und er es doch war, der das Geld heimbrachte.
Ohne sein Wissen trieb sie sich mit einer Nadel ein Kind ab.“
„Eine dritte Abtreibung, diesmal mit einem schweren Blutsturz. Kurz vor ihrem vierzigsten Lebensjahr wurde sie noch einmal schwanger. Eine weitere Abtreibung war nicht mehr möglich, und sie trug das Kind aus.“
Zitat von 1954: „Der Wiener Bürgermeister verlas kürzlich in der Stadtverordnetenversammlung einen Sachverständigenbericht, nach dem die Zahl der Abtreibungen in Österreich jährlich 300 000 bis 400 000 beträgt, bei nur 100 000 Lebendgeborenen.“ 2
Zum Beispiel Friedrich Dürrenmatt(1921-1990, Schweiz): Der Besuch der alten Dame (Theaterstück, 1956)
Der Butler: „Was geschah mit dem Kind, Klägerin?“
Claire Zachanassian: „Es lebte ein Jahr.“
Der Butler: „Was geschah mit Ihnen?“
Claire Zachanassian: „Ich wurde eine Dirne.“
Der Butler: „Weshalb?“
Claire Zachanassian: „Das Urteil des Gerichtes machte mich dazu.“
„Es war Winter, einst, als ich dieses Städtchen verließ im Matrosenanzug mit roten Zöpfen, hochschwanger, Einwohner grinsten mir nach. Frierend saß ich im D-Zug nach Hamburg, doch wie hinter den Eisblumen die Umriße der Peterschen Scheune versanken, beschloß ich zurückzukommen, einmal. Nun bin ich da.“
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Ill: „Du hattest - ich meine, wir hatten ein Kind?“
Claire Zachanassian: „Gewiß.“
Ill: „War es ein Bub oder ein Mädchen?“
Claire Zachanassian: „Ein Mädchen.“
Ill: „Und was hast Du ihm für eine Namen gegeben?“
Claire Zachanassian: „Genevieve.“
Ill: „Hübscher Name.“
Claire Zachanassian: „Ich sah das Ding nur einmal. Bei der Geburt. Dann wurde es genommen. Von der Christlichen Fürsorge.“
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Ill: „Das ist wohl so. Bei wem ist es gestorben?“
Claire Zachanassian: „Bei Leuten, ich habe die Namen vergessen.“
Ill: „Woran?“
Claire Zachanassian: „Hirnhautentzündung. Vielleicht auch was anderes. Ich erhielt auch eine Karte von der Behörde.“
Ill: „Bei Todesfall kann man sich auf die verlassen.“
Zum Beispiel Heinrich Böll (1917 – 1985 Deutschland): Irisches Tagebuch (Reisebericht, 1957)
„... wieder stockt der Zeigefinger: hier lag ein kleiner Friedhof für ungetaufte Kinder; ein einziges Grab ist noch zu sehen, mit Quarzbrocken eingefasst ...“
Zum Beispiel Doris Lessing (1919 – 2013, Britisch): Auf der Suche (Essay, 1960)
„Eines Morgens hörte ich vor meiner Tür einen dumpfen Schlag. Mrs. Skeffington hatte sich eine Treppe hinuntergestürzt und war gerade im Begriff, es noch einmal zu tun. „Lassen Sie mich“, murmelte sie und ehe ich sie davon abhalten konnte, ließ sie sich fallen. Auf dem Treppenabsatz richtete sie sich langsam, sehr langsam, keuchend und blaß, wieder auf. „Das müsste genügen“, sagte sie und versuchte zu lächeln, während sie sich schwer atmend die Treppe hinauf zu Rosemary schleppte.“
Zum Beispiel Heinrich Böll (1917 – 1985 Deutschland): Ansichten eines Clowns (Roman, 1963)
„Ich bat sie auch, mir doch genau zu erklären, was sie im Krankenhaus mit ihr gemacht hatten, sie sagte, es wäre eine „Frauensache“ gewesen, „harmlos, aber scheußlich“. Das Wort Frauensache flößt mir Schrecken ein. Es klingt für mich auf eine böse Weise geheimnisvoll, weil ich in diesen Dingen vollkommen unwissend bin. Ich war schon drei Jahre mit Marie zusammen, als ich zum erstenmal etwas von dieser „Frauensache“ erfuhr. Ich wußte natürlich, wie Frauen Kinder bekommen, aber von den Einzelheiten wußte ich nichts. …. Der zweite, der mir davon erzählte, war Karl Emonds, mein Schulkamerad, der dauernd mit seinen fürchterlichen Empfängnistabellen hantiert.
Nachmittags, als die Sittenpolizei kam, war ich froh, daß Marie weg war, obwohl die Tatsache, daß sie weg war, für mich äußerst peinlich wurde. … „Sie müssen das verstehen“, sagte die Beamtin, „gewisse Stichproben müssen wir schon machen, wenn Durchreisende abortive – sie hüstelte – Erkrankungen haben.“ „Ich verstehe alles“, sagte ich – ich hatte im Lexikon nichts von abortiv gelesen.“
Zum Beispiel Michael Crichton (1942-2008, USA): Die Intrige (Roman, 1968)
„Ich konnte nicht schlafen; ich dachte die ganze Nacht daran. Ich malte mir aus, wie sie in irgendein stinkiges Hinterhaus ging, zu einem schmierigen kleinen Kerl, der sie womöglich umbringen würde. Ich dachte an meine Frau und unser einjähriges Baby und daran, wie schön das alles sein kann. Ich dachte an die verpfuschten Abtreibungen, die ich als Assistent gesehen hatte, an die Mädchen, die um drei Uhr morgens eingeliefert worden waren, blutend und schweißüberströmt. Und natürlich fiel mir auch ein, was ich selbst durchgemacht hatte, als ich noch aufs College ging. Einmal hatten Betty und ich sechs volle Wochen darauf gewartet, daß ihre Periode kam. Ich wußte nur zu gut, wie leicht so was passieren kann..."
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"Karen Randall wurde heute morgen um vier von ihrer Mutter ins Memorial-Krankenhaus gebracht. Sie blutete stark und war bei ihrer Einlieferung in einem hämorrhagischen Schockzustand. Ich weiß nicht, wie sie sie behandelt haben – jedenfalls ist sie gestorben. Die Polizei glaubt, ich habe ihr gestern abend eine Abtreibung gemacht."
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"...Wir haben hier ziemlich viel mit Abtreibungen zu tun, mit selbstgemachten und Fremdabtreibungen. Manche Mädchen haben soviel Seife in der Vagina, daß sie schäumen wie überladene Geschirrspülautomaten. Andere werden mit schweren Blutungen eingeliefert. Und alle sind hysterisch und erzählen uns die phantastischsten Lügengeschichten. Wir behandeln sie stillschweigend und schicken sie so bald wie möglich wieder weg."
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"...Wir sind uns darüber einig, dass Abtreibung eine Gegebenheit ist, mit der man sich abfinden muß; etwas ganz Alltägliches. Nach den letzten Statistiken werden in Amerika eine Million Abtreibungen im Jahr gemacht. Unsere Gesetze sind in dieser Hinsicht heuchlerisch, unklar und absurd streng. Doch vergessen Sie bitte nicht, dass die Ärzte noch viel strenger sind als das Gesetz. Die Komitees, die in den Krankenhäusern über Schwangerschaftsunterbrechungen zu entscheiden haben, sind überängstlich. Sie lehnen Abtreibungen sogar in Fällen ab, in denen gesetzlich überhaupt nichts einzuwenden wäre. Meiner Meinung nach müßte sich erst einmal die vorherrschende Einstellung der Ärzte ändern, bevor man die Abtreibungsgesetze ändern kann."
"Man muß sich klarmachen, welches Ausmaß das Ganze hat", sagte er einmal zu mir. "Eine Million Frauen – darunter kann man sich nicht viel vorstellen. Aber umgerechnet bedeutet das, daß alle dreißig Sekunden eine ungesetzliche Abtreibung gemacht wird, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Es handelt sich also um eine ganz alltägliche und verhältnismäßig ungefährliche Operation."
Zum Beispiel Kurt Marti (1921-2017, Schweiz): Leichenreden (Lyrik, 1969)
als sie mit zwanzig ein kind erwartete wurde ihr heirat befohlen
als sie geheiratet hatte wurde ihr verzicht auf alle studienpläne befohlen
als sie mit dreißig noch unternehmungslust zeigte wurde ihr dienst im hause befohlen
als sie mit vierzig noch einmal zu leben versuchte, wurde ihr anstand und tugend befohlen
als sie mit fünfzig verbraucht und enttäuscht war zog ihr mann zu einer jüngeren frau
liebe gemeinde wir befehlen zu viel wir gehorchen zu viel wir leben zu wenig
Zum Beispiel Thomas Bernhard (1931-1989, Österreich): Alte Meister (Roman, 1985)
"Der Staat denkt, die Kinder sind die Kinder des Staates und handelt entsprechend und tut seit Jahrhunderten seine verheerende Wirkung. Der Staat gebiert in Wahrheit die Kinder, nur Staatskinder werden geboren, das ist die Wahrheit. Es gibt kein freies Kind, es gibt nur das Staatskind, mit dem der Staat machen kann, was er will, der Staat bringt die Kinder auf die Welt, den Müttern wird nur eingeredet, dass sie die Kinder auf die Welt bringen, es ist der Staatsbauch, aus dem die Kinder kommen, das ist die Wahrheit. Hunderttausende kommen alljährlich aus dem Staatsbauch als Staatskinder, das ist die Wahrheit. Die Staatskinder kommen aus dem Staatsbauch auf die Welt..."
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Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus unserer Sammlung von Beispielen aus der Weltliteratur. Mehr dazu unter https://www.muvs.org/de/themen/literatur-zitate/
1) Abg. Zeilinger im Budgetausschuss, APA 1 182 v. 25. 11. 1955.
2) Münchner Medizinische Wochenschrift Nr. 4 v. 22. 1. 1954