Wie bewirbt man Verbotenes?
Dem Darknet - also dem verborgenen Teil des Internets - wird nachgesagt, der Kommunikation über Verbotenes eine Plattform zu bieten – Waffen, Drogen etc.
Neues Wiener Journal
vom 20.11.1919, S9 (ONB/ANNO)
Doch wie war das früher, wenn man Gegenstände oder Dienstleistungen vermarkten wollte, die gegen Gesetze verstießen?
Dafür gab es die scheinbar harmlosen Inserate in Tageszeitungen, die in Wahrheit Codes oder verschlüsselte Formulierungen enthielten, unverdächtig wirkende, aber dem/r Eingeweihten vielsagende Ausdrücke. Beispielsweise für Verhütungsmittel und Abtreibungen, die als unmoralisch, obszön und verbrecherisch galten – und in vielen Ländern immer noch - oder wieder - verboten sind.
Wer in Zeitungen vom Beginn des 20. Jahrhunderts blättert, findet zahllose Beispiele für Inserate - damals wurden sie ‚Annoncen‘ genannt -, deren wahren Inhalt nur die/der Kundige erkannte.
Machen wir etwa einen Blick in das ‚Neue Wiener Journal’ von 1914: Zwischen den – vermutlich echten – Inseraten für Klavierstimmer, Speisezimmereinrichtungen, Maßschneidereien und verpfändete Lose finden sich solche für ‚Sichere und absolut unschädliche Mittel gegen Störungen‘ und ‚echt französische Mittel für Damen‘ mit ‚durchschlagendem Erfolg‘. Zugeschickt werden sie natürlich ‚streng diskret‘. ‚Nach wenigen Stunden haben auch Sie Erlösung‘ – sprich, die herbeigesehnte Menstruation setzt ein. Wenn der unerwünschte Zustand schon zu weit fortgeschritten ist – mit anderen Worten, eine ungewollte Schwangerschaft vorliegt und heimlich beendet werden soll -, bieten auch Hebammen oder Vermittlerinnen ihre Dienste an – ebenfalls streng diskret. Das liest sich dann so: ‚Ratschläge in diskreten Angelegenheiten‘ (‚Mme. Schriebl – Spezialistin in Damen‘) im Salzburger Volksblatt vom 11. Oktober 1919. Auch eine ‚Mme. Wunderlich‘ hatte ‚Ratschläge in allen diskreten Angelegenheiten‘ parat, wie sie am 8. November 1919 in derselben Zeitung kundtat.
Der in diesem Zusammenhang gerne verwendete Begriff ‚Madame’ war übrigens ebenfalls ein Code und sollte Nähe zu Frankreich signalisieren: Franzosen galten als kundig in allen Aspekten der Liebe.
Ärzte als Nothelfer
Wer als Nicht-Arzt verbotene Eingriffe unternahm und clever genug war, sicherte sich die Zusammenarbeit mit einem Mediziner und nutzte diesen Umstand in der Werbung. Aber wie lässt sich das kommunizieren? Diesbezüglich genial war das Inserat einer ‚Mme. Schriebl – Spezialistin in Damen‘ aus dem Jahr 1919, die ‚Silberschutzmittel‘ verkaufte, eine ‚aussergewöhnliche Spezialität, für jede Dame passend‘.(1) Es handelte sich also um silberne Muttermundkappen zur Schwangerschaftsverhütung. Zusätzlich gab sie bei Bedarf ‚Ratschläge in diskreten Angelegenheiten‘. Was das bedeutet, war den LeserInnen klar. Vielsagend ist ihre Adressangabe: Wien VIII, Auerspergstrasse 7 neben Sanatorium Auersperg. (2) Das Sanatorium Auersperg, ursprünglich als Privatsanatorium für die Behandlung von Haut- und Geschlechtskrankheiten gegründet und 1910 in ein allgemeines Sanatorium umgewandelt, nahm in ‚medizinisch begründeten Fällen‘ Abtreibungen vor. Die ‚medizinische Begründung‘ wurde oftmals mit klingender Münze erworben. Dass die erwähnte Mme. Schriebl ihre Hilfe in ‚diskreten Angelegenheiten‘ ohne Wissen der benachbarten Anstalt ausführte, ist schwer zu glauben. Eher lässt sich vermuten, dass diese enge Nachbarschaft für sie eine Art medizinisches Sicherheitsnetz darstellte, auf das sie in ihren Inseraten verwies.
Ohne Geld ist das Risiko größer
Auch der Ausdruck ‚Damen‘ in den Inseraten ist als Code zu verstehen: Er signalisiert, dass die ‚Hilfe‘ Geld kostet, denn das Risiko war hoch. Doch Geld hatten eben nur Damen der Gesellschaft. Zur Verteidigung der AnbieterInnen muss gesagt werden, dass sie ihr Honorar oft an die Möglichkeiten ihrer Kundinnen anpassten – so verlangte beispielsweise Marie Baschtarz, die als ‚Madame Mittermayer‘ ihre Dienste in der Wiener Vorstadt anbot, zwischen 15 und 200 Kronen. Zum Vergleich: Die Miete für die Wohnung, in der die Abbrüche durchgeführt wurden, betrug monatlich 60 Kronen.
Wer sich das Honorar eines professionellen Angebotes trotzdem nicht leisten konnte, etwa die sozial niedriger gestellten Frauen oder gar Dienstmädchen etc., oder wer nicht an Informationen herankam, war stattdessen auf Flüster-Propaganda und Gerüchte angewiesen. Wie sich aus den Protokollen von Gerichtsprozessen ablesen lässt, waren öffentliche Verkehrsmittel dafür gut geeignet. Dort kam man leicht ins Gespräch und erfuhr Namen, Hilfsmittel, Möglichkeiten …
Anfang des 20. Jahrhunderts hielten sich Ärzte aus den Themen Verhütung und Abtreibung weitgehend heraus, weil es sich nicht um ärztliche Aufgaben handle. Daher wurden die Eingriffe entweder von den Frauen selbst oder von (ehemaligen) Hebammen oder wenigstens Personen mit medizinischen Basiskenntnissen durchgeführt, einmal sogar von einem Metzger. Die Do-it-Yourself-Methoden waren meist primitiv, die Gefahr schwerer Gesundheitsschädigungen oder gar Todesfälle groß. Das war anders, wenn Hebammen oder andere Erfahrene ans Werk gingen, wie beispielsweise die Aussagen von ‚Mme. Mittermayer‘ zeigten: „Nach Orientierung mit dem Mutterspiegel wurde ein gewöhnlicher Gummikatheter bis in die Gebärmutter der Betreffenden eingeführt, die zu diesem Zwecke aufgefordert wurde, sich auf den Diwan zu legen. Ich habe dann immer den Katheter durch einen Wattebausch fixiert.“ Sogar der prominente Gerichtsmediziner Prof. Albin Haberda zollte ihr Respekt: „Keine von den Frauen ist ernsthaft erkrankt; die Vorsicht ging soweit, daß bei den auswärtigen Fällen eigene Blutstillungsmittel mitgegeben wurden...“ (3) Im Notfall hätte sie sogar auf die Hilfe eines befreundeten Arztes zugreifen können.
‚Mme. Mittermayer‘ hatte dank ihrer Inserate innerhalb von 15 Monaten rund 100 Kundinnen aus dem ganzen Gebiet der Monarchie gewonnen.
1) Beispielsweise im Salzburger Volksblatt vom 19.11.1919, 9, sowie Wr. Caricaturen v. 1.10.1919.
2) Neues Wiener Journal vom 20.11.1919, 9.
3) Katharina Riese: In wessen Garten wächst die Leibesfrucht?, 1983