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MUVS Lesung: Mythos Mutterglück

MUVS Lesung & Diskussion am Dienstag 31. Mai 2016 
Mythos Mutterglück: Was brauchen Mütter heute?

Sarah Fischer und Esther Göbel sprachen im MUVS über ihre aktuellen Bücher zum zeitgeistigen Debattenphänomen 'regretting motherhood'. Und zur Frage wie heute ein realistisches Mutterbild aussehen kann. Historisch überhöhte, längst überholte Mutterbilder und die ungelöste Vereinbarkeitsproblematik zählen beide Autorinnen zu den großen Schwierigkeiten heutiger Mutterschaft.

 

 

Es scheint in unserem Denken ein echtes Hindernis zu sein, die Reue der Mutterschaft – die sich meist auf den aufreibenden Alltag mit Kindern bezieht – von der Liebe zu den Kindern zu trennen. Die eigenen Kinder zu bereuen, bildet offenbar eine Ausnahme und ein großes Tabu. Wir dürfen alles bereuen: Ausbildung, Job, Umzug, Liebesbeziehungen – aber die eigenen Kinder zu bereuen und dies noch auszusprechen, führt zu Unverständnis, Widerstand, Ablehnung und mitunter heftigen Attacken.

"Ich hatte Morddrohungen auf allen Kanälen", erzählt Sarah Fischer, die sich selbst aufgrund ihrer bereuenden Gefühle zunächst schlecht und defizitär erlebte, heute mit Selbstbewusstsein und reflektiert ihren eigenen Weg mit Kind und Partner geht. Ihren schonungslosen Bericht liefert sie in ihrem Buch 'Die Mutterglück Lüge.' "Man kann Frauen nur ermutigen, mit Selbstvertrauen ihr eigenes Ding zu machen, ohne dabei auf andere zu hören."

Esther Göbel, die das Phänomen Mutterschaftsreue in ihrem Buch 'Die falsche Wahl' aus vielseitigen Blickwinkeln analysiert, pflichtet bei: "Muttersein bedeutet Vielfalt. Es braucht eine ehrliche und offene Auseinandersetzung mit sich selbst, dem Partner und auch innerhalb der Gesellschaft. Realistische Mutterrollen, die Frauen entlasten, bedeuten, dass jede Frau ihre ganz eigene Rolle findet und diese ohne Rechtfertigung oder Anfeindungen auch leben kann."

Mutterschaft als erfüllendes und beglückendes Lebensereignis in Frage zu stellen, tut weh, einer Gesellschaft, die Frauen den Löwenanteil der Kinderbetreuung wie selbstverständlich überlässt. Überdies wirkt weiterhin das Konstrukt der vermeintlich 'natürlichen' Mutterliebe in einer Gesellschaft, die seit Mitte des 18. Jahrhunderts am überhöhten Mutterbild klebt – was weder zeitgemäß noch realistisch ist. Jedenfalls aber 'staatssichernd' durch kostenlose Familienarbeit. Wenn Mütter aufbegehren oder über die Schattenseiten ihres Mutterseins und den Verlust ihres Lebens sprechen, werden sie schnell hinterfragt und gelten als wehleidig oder selbstsüchtig.

Frauen sind heute emanzipiert, Paare gehen gleichberechtigt durchs Leben – bis in den Kreissaal – und kommen häufig in den 50er Jahren wieder heraus. Erziehung ist immer noch größtenteils Frauensache und Väter haben zumeist das höhere Einkommen. Frauen befinden sich heute in einem paradoxen Dilemma: Größtmögliche berufliche Chancen, gleichzeitig fallen sie mit dem ersten Kind in die traditionelle Mutterrolle zurück mit dem Drang, alles richtig und perfekt machen zu wollen in Beruf und Familie.

Sarah Fischer erlebte die Vereinbarkeit zweier Karrieren mit einem Kind als desillusionierend: Schnell kristallisierte sich heraus, dass der Großteil der Kinderbetreuung in ihren Aufgabenbereich fällt und sie sich in einem Leben voller Langeweile, Ohnmacht und Wut wiederfand – trotz aller Liebe für das gemeinsame Kind. Sie plädiert dennoch dafür, unbedingt vor der Entscheidung für ein Kind die Aufteilung der Kinderbetreuung zu diskutieren und am Ball zu bleiben – mit Offenheit, Mut und Selbstvertrauen immer wieder in die Aushandlung mit dem Kindesvater zu gehen.

Esther Göbel stimmt zu, ihr gehe es aber nicht nur um die Alltagsbewältigung, sondern um das Neu-Denken vielfältiger Mutterbilder, die Frauen und Männern die Chance gibt, jenseits eingefahrener Rollenmuster mit Kindern zu leben. Sie weiß auch, wenn Frauen und Männer ihre Rollen tauschen, führe dies nur zu einer umgekehrten Schieflage. Männer machen exakt die gleichen desillusionierenden Erfahrungen, wenn sie sich in die verantwortungsvolle Vaterrolle begeben: Verdienstentgang, Jobverlust, Dauerstress, Mehrfachbelastung, Langeweile, Ohnmacht und Wut.

Helene Klaar – die prominente feministische Scheidungsanwältin – betonte: "Mütter – und es sind vorwiegend immer noch die Mütter – brauchen gesellschaftliche Unterstützung. Vor allem Frauen mit kleinen Kindern brauchen viel Unterstützung!". Das Leben mit Kindern ist heute mehr als je zuvor eine Zerreissprobe für Paare zwischen privaten Entscheidungen und gesellschaftlichen Strukturen. Heute stehen unzählige Lebensentwürfe nebeneinander, solange aber die Politik Rahmenbedingungen schafft, die auf die Kernfamilie abzielen, gibt es großen Aufholbedarf. Das Ziel müsste jedenfalls sein, Mütter bzw. Eltern von ihrer Mehrfachbelastung, der real drohenden Altersarmut und dem hohen Erwartungsdruck an die 'gute Mutter' zu befreien.

Dann würde die Geburtenrate vielleicht auch steigen: In Österreich liegt diese aktuell bei 1,4 Kindern pro Frau im gebärfähigen Alter. In einem Land, in dem es übrigens überdurchschnittlich viele Schwangerschaftsabbrüche gibt, liegt die abgefragte Kinderwunschzahl nämlich bei 2,4 (Gynmed). Die Differenz von einem Kind (!) erkläre sich allerdings weniger durch gesellschaftliche als durch private Hürden: "Eine tragfähige Beziehung" sei der wichtigste Faktor in der Entscheidung für das Kinderkriegen.

Das Fazit des Abends formuliert sich knapp. Und ist wenig überraschend: Glückliche Kinder brauchen glückliche Eltern. Weiterhin brauche es einen feministischen Diskurs über realistische Rollenbilder. Dass Frauen dabei nicht länger in verstaubte Klischees der allzeit bereiten umsorgenden Mutter gedrängt werden wollen, darüber waren sich alle einig. Das Bild einer 'ausreichend guten Mutter' ('good enough mother', Donald Winnicott, 1953) könne Frauen etwa erleichtern. Freilich brauche es dazu selbstverantwortliche partnerschaftliche Eltern, die im ständigen Aushandeln ihr Leben mit Kindern aktiv gestalten und sich eben nicht in allzu bequeme alte Muster zurückfallen lassen. Oder das Handtuch werfen. "Aber das Aushandeln ist nicht bequem und auch nicht lustig!", betonte eine Publikumsstimme.

Dass Kinderkriegen und Selbstbestimmung einen fundamentalen Widerspruch bildeten, betonte zuletzt MUVS Gründer und Direktor Christian Fiala. Das Leben mit Kindern sei schwer kontrollierbar und weitgehend fremdbestimmt. Das liege in der Natur der Sache. Das Leben heute biete historisch gesehen nie da gewesene Freiheiten und Optionen. In der persönlichen Entwicklung stellt die Geburt eines Kindes einen Bruch, bzw. eine fundamentale Änderung der Lebensführung dar: Eltern müssen lernen, sich mit Ereignissen zu arrangieren, auf die sie wenig Einfluss haben. Allerdings wird häufig vermittelt, wir müssten auf nichts verzichten, auch mit Kindern würde alles wie gewohnt weitergehen.  Dies als Illusion zu erkennen und Verluste als Teil der Entscheidung für ein Leben mit Kind zu akzeptieren, ist manchmal ein schmerzhafter Prozess.

Entscheiden kann der Mensch heute weitgehend frei. Freie Entscheidungen bringen auf der anderen Seite aber auch stets Konsequenzen und Verluste mit sich – in allen Lebensbereichen – insbesondere mit Kindern, die das Leben völlig auf den Kopf stellen.

 

Flyer als PDF [Download PDF]

 

Sarah Fischer – „Morddrohungen auf allen Kanälen“

Jahrgang 1972, 1 Kind. 'Die Mutterglück Lüge. Regretting Motherhood – Warum ich lieber Vater geworden wäre' (Februar 2016)

 

Sarah wurde zwei Wochen nach ihrer Geburt adoptiert und wuchs glücklich in Süddeutschland auf. Nach Stationen bei Virgin Records und MTV widmete sie sich dem Reisen. Als Mongolei Expertin betreut sie Film- und Fernsehteams unter anderem von ARD, ZDF und arte und arbeitet als Vortragsreferentin zu ihren Reisen. http://sarah-fischer.de/

 

Esther Göbel – „hinterfragt aufgrund mangelndem Kinderwunsch“

Jahrgang 1984, kein Kind. 'Die falsche Wahl. Wenn Frauen ihre Entscheidung für Kinder bereuen' (März 2016)

 

Esther Göbel ist studierte Biologin und ausgebildete Journalistin. Sie schreibt für verschiedene Magazine und Zeitungen, u.a. für die Süddeutsche Zeitung. Ihr SZ-Artikel „Sie wollen ihr Leben zurück" hat die Debatte um die bereuenden Mütter in Deutschland ins Rollen gebracht. Esther Göbel lebt in Berlin. http://halb10.net/esther-goebel

 

 

Für Interessierte:

Orna Donath, #regretting motherhood. Wenn Mütter bereuen, 2016
Christine Finke, Allein, alleiner, alleinerziehend. Wie die Gesellschaft uns verrät und unsere Kinder im Stich lässt, 2016 
Wie man als Mutter richtig versagt. Angelika Hager über Mutterfrust, den Kampf gegen Rollenbilder - und wie aus dem Nachwuchs trotzdem was wird. (profil, Nr. 19, 47. Jg., 9. Mai 2016)
Ausgeknockt vom Schuldgefühl (taz.de, 11. Juni 2016)
Schweden: Kinderkriegen leicht gemacht (diepresse.com, 10. Juni 2016)
Wer schwnager wird, hat Pech (taz.de, 5. Juni 2016)
Müttermythos, Mütterterror, Mütterglückslüge (derstandard.at, 8. Mai 2016)
Motherhood: Regretting to refuse revolt (derstandard.at, 8. Mai 2016)
"Mutterschaft ist nicht für jede Frau ein Segen" (news.at, 25. April 2016)
Das Wort "Rabenmutter" gibt es auf Französisch nicht (Zeit Online, 6. April 2016)
Die Nabelschnur als Galgenstrick (faz.net, 2. März 2016) 
Wenn Frauen bereuen, Mutter zu sein (stern.de, 17. Februar 2016)
In der Mutter steckt kein weiblicher Mensch (umstandslos, 30. Oktober 2015) 
Nach der Geburt (sueddeutsche.de, 5. April 2015)
Trailer der Theater Inszinierung 'Mutter:Glück oder Mothers little helpers' (2013)