Podiumsdiskussion: 40 Jahre Fristenlösung und immer noch im Strafgesetz
40 Jahre Fristenlösung: Breites Expertinnenbündnis fordert Streichung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafgesetz
Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch in Selbstmedikation und Internethandel machen Gesetzesänderung ohnehin notwendig.
Die Fristenlösung schien nach 40 Jahren einzementiert, nun kommt Bewegung in die Debatte. Das war bei der Podiumsdiskussion, am 26. Mai 2015 “40 Jahre Fristenlösung. Wer soll entscheiden?” auf Einladung des Museums für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch (MUVS) im vollen Bildungszentrum der AK Wien zu vernehmen. Am Podium nahmen nationale und internationale ExpertInnen das österreichische Modell der Fristenlösung kritisch unter die Lupe. Unisono fordern sie, das Gesetz an die medizinische und gesellschaftspolitische Entwicklung anzupassen.
Fristenlösung blockiert Behandlung
Christian Fiala, Gynäkologe und Direktor des MUVS, klärte im Zuge der lebhaften Diskussion darüber auf, dass die Fristenlösung keineswegs totes Recht ist. Aufgrund der Kriminalisierung findet Schwangerschaftsabbruch keine Berücksichtigung in der medizinischen Ausbildung. Eine österreichweite und flächendeckende Behandlung von ungewollt schwangeren Frauen wird immer noch politisch blockiert. Eine Kostenübernahme der Behandlungskosten durch die Sozialversicherung gibt es – anders als in fast allen westeuropäischen Ländern - in Österreich nicht.
Erschreckendes Bild
Wie eine vom Museum durchgeführte Straßenbefragung zeigt, die im Zuge des spannenden Abends präsentiert wurde, ist der Wissenstand der jüngeren Bevölkerung über die rechtlichen Implikationen der Fristenlösung sehr mangelhaft. Viele der Befragten zeigen sich zudem erstaunt, dass die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch überhaupt strafrechtlich geregelt ist.
Vorbild Kanada
In Kanada hingegen wurde der Schwangerschaftsabbruch schon vor 27 Jahren aus dem Strafgesetz genommen, nachdem die kanadischen Höchstrichter zur Erkenntnis gelangt waren, dass der Staat nicht legitimiert sei, in die Persönlichkeitsrechte von Frauen einzugreifen. Die am Podium mitdiskutierende Professorin für Strafrecht in Kanada, Jula Hughes, zerstreute Befürchtungen, dass diese Entkriminalisierung einen Anstieg von Spätabbrüchen oder generell von Abbrüchen verursache. Vielmehr hat in Kanada die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche trotz anwachsender Bevölkerung sogar abgenommen.
Zunehmende Selbstmedikation
Die derzeit geltende Fristenlösung verbietet die Selbstmedikation beim Schwangerschaftsabbruch mit einer Strafandrohung von einem Jahr Gefängnis für die betroffene Frau. Doch während ein Abbruch in Eigenregie mittels Tabletten vor 40 Jahren noch undenkbar war, sind die Medikamente (Mifepriston und Misoprostol) heute weit verbreitet. Durch den globalen Internethandel werden sie auch nach Österreich verschickt, wie MUVS-Direktor Fiala berichtet. Diese Medikamente sind besonders bei Migrantinnen beliebt und werden immer häufiger verkauft. “Will der Gesetzgeber diese Frauen nicht kriminalisieren, bleibt ihm nur übrig, den Abbruch ersatzlos aus dem Strafgesetz zu streichen” so Fiala.
Einfache Mehrheit im Parlament
Verfassungsjuristin Brigitte Hornyik erklärte, dass mit einfacher Mehrheit im Parlament eine entsprechende Gesetzesänderung beschlossen werden könne. Sie appellierte an die SPÖ, notfalls eine freie Mehrheit außerhalb der aktuellen Koalition anzustreben.
Die Podiumsdiskussion in voller Länge (1:39 min)
Flyer und Programmheft
Download Flyer [PDF 218kb]
Download Programmheft [PDF 5,2mb]
Medienberichte:
ORF ZIB-24 (27.05.2015)
dieStandard.at, 40 Jahre Fristenloesung und keine Besserung in Sicht
Umstandslos.com, Der Staat im Uterus
Radio Orange, Die Fristenlösung steht zur Diskussion (29.05.2015)
ORF Heute Mittag (27.05.2015)
ORF Hohes Haus (31.05.2015)
ORF Hohes Haus, Interview Wimmer-Puchinger (31.05.2015)
umstandslos. Magazin für feministische Mutterschaft: Der Staat im Uterus (27.05.2015)
Rebecca Gomperts
Ärztin, Gründerin „Women on Waves“ und „Women on Web“, Niederlande
„Der medizinische Schwangerschaftsabbruch gehört in Frauenhände: Wenn wir Frauen zutrauen, Kinder zu bekommen und groß zu ziehen, müssen wir ihnen auch zutrauen, dass sie selbst über einen Abbruch entscheiden und ihn durchführen können.“
Jahrgang 1966, Studium der Medizin und Kunst in Amsterdam, Ärztin, spezialisiert auf Schwangerschaftsabbrüche und Umweltaktivistin auf dem Greenpeace Schiff „Rainbow Warrior“. Gründerin und Leiterin von Women on Waves und Women on Web – Non-Profit-Organisationen für Bewusstseinsarbeit und öffentliche Diskussion über restriktive Abtreibungsrechte sowie die Bereitstellung von sicheren und legalen medikamentösen Abbrüchen für Frauen in Ländern, in denen der Abbruch verboten ist. Rebecca Gomperts schreibt Kurzgeschichten, Artikel und Essays und erhielt international Auszeichnungen für ihren Einsatz für die reproduktiven Rechte von Frauen.
www.womenonweb.org
www.womenonwaves.org
Jula Hughes
Professorin für Strafrecht, Universität New Brunswick, Kanada
„Eine spezielle Regelung des Abbruchs im Strafrecht ist nicht nur kontraproduktiv, es gibt auch keinen vernünftigen Grund, den Abbruch gesundheitsrechtlich besonders zu regeln. Die Chance, dass eine Patientin beim Abbruch zu Schaden kommt, ist unter Strafandrohung wesentlich höher. Die ersatzlose Streichung erleichtert gerade in Krisensituationen die Beratung und Behandlung von Patientinnen, wie die kanadische Erfahrung gezeigt hat. Die Entkriminalisierung des Abbruchs trägt zur Gleichstellung von Frauen bei, ohne dabei Regelungsprobleme im Gesundheitswesen auszulösen.“
Jahrgang 1965, Professorin für Strafrecht an der juristischen Fakultät der University of New Brunswick in Kanada. Sie ist Autorin von wissenschaftlichen Beiträgen und Vorträgen im nationalen und internationalen Rahmen. Ihre Forschung beschäftigt sich mit der Anwendung des Strafrechts auf marginalisierte Menschen, besonders sexuelle Minderheiten und indigene Menschen, und mit feministischer Rechtswissenschaft. Aktuell arbeitet sie an einem Forschungsprojekt über die Bedeutung von Entkriminalisierung für die Theorie des kanadischen und vergleichenden Strafrechts.
www.unb.ca
Irmtraut Karlsson
Aktivistin „Aktionskomitee zur Abschaffung §144“ (1972),
Schriftstellerin, Nationalrätin SPÖ iR
„Die Verankerung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafgesetzbuch ist meist totes Recht und zeigt die Macht und Herrschaft der katholischen Kirche und ihre Verbindungen zu den politischen Machtzentren in Österreich. Die Strafandrohung führt nur zur Verunsicherung der betroffenen Frauen und verhindert bis heute die sinnvolle Aufklärung, Verhütung und den entkrampften Umgang mit der Sexualität und Fortpflanzung, um Abbrüche zu vermeiden. Heute sollte gelten: Helfen statt strafen, sodass jedes Kind ein gewünschtes Kind ist.“
Jahrgang 1944, Schriftstellerin, Sozialpädagogische Forschungsstelle in der Magistratsabteilung 11, lehrte an der Akademie für Sozialarbeit, seit 1969 Aktivistin und Mitglied des
„Aktionskomitees zur Abschaffung des §144“ 1972, Mitbegründerin des ersten Wiener Frauenhauses 1978, Generalsekretärin der sozialistischen Fraueninternationale in London 1981 bis 1985, Bundesrätin und Abgeordnete zum Nationalrat, seit 1999 Schreiben von Krimis und Sachbüchern.
www.dasrotewien.at
Eva Mückstein
Psychologin, Psychotherapeutin, Nationalrätin Grüne, Gesundheitssprecherin
„Frauen werden durch die Strafandrohung letztlich doch latent kriminalisiert und in Gewissenskonflikte gezwungen. Die Abtreibungsparagraphen sind totes Recht und stehen gegen die Selbstbestimmungsrechte von Frauen. Die Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper und ihre Reproduktionsfähigkeit muss selbstverständlich werden! Strafbestimmungen sind hier völlig falsch am Platz!“
Jahrgang 1958, Studium der Psychologie und Psychotherapieausbildung in Wien. War Psychotherapeutin und Psychologin im AKH und an der Heilpädagogischen Station in der Hinterbrühl. Seit 1991 eigene Praxis in Bad Vöslau. Lehrtätigkeit in Sozialpädagogik, Psychotherapeutenausbildung u.a. psychosozialen Bereichen. Seit über 20 Jahren in der Gesundheitspolitik für den Öst. Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP) tätig. Seit 2010 Grüne Politikerin, seit 2013 Abgeordnete zum Nationalrat und Gesundheitssprecherin der Grünen, seit 2015 Stadträtin Bad Vöslau.
www.mueckstein.net
Anja Oberkoffer
Juristin,Vorsitzende des Vereins österreichischer Juristinnen
„Das Recht auf Selbstbestimmung der Frauen und das Recht eigene Entscheidungen über ihren Körper zu treffen, darf nicht kriminalisier t werden. Es greift jedoch zu kurz, lediglich eine Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs zu fordern, vielmehr ist die Gesellschaft in der Verantwortung durch entsprechende Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass nur wenige Frauen vor der Entscheidung stehen, einen Abbruch vorzunehmen. Es ist unverständlich, warum Verhütungsmittel nicht kostenfrei abgegeben werden oder der Sexualkundeunterricht in den Schulen nicht ausgebaut wird.“
Jahrgang 1975, Studium der Rechtswissenschaften in Innsbruck und Wien. Bis 2014 selbstständige Rechtsanwältin in Wien. Heute ist Anja Oberhofer im Justizbereich tätig.
www.juristinnen.at
Katharina Weninger
Bundesfrauensprecherin der Jungen Generation in der SPÖ
„Es ist einfach unfassbar, dass Frauen, die sich aus welchen Gründen auch immer entschlossen haben, ein Kind nicht zu bekommen, kriminalisiert werden. Die Straffreiheit bedeutet ja noch immer, dass man etwas Ungesetzliches tut, aber der Staat sich entschlossen hat, dieses Ungesetzliche unter bestimmten Umständen nicht zu bestrafen. Dieser Umstand widerspricht grundsätzlich meiner Vorstellung von einem freien Menschen, von Gleichberechtigung und von Selbstbestimmung.“
Jahrgang 1986, Studium der Politikwissenschaft, Parlamentarische Mitarbeiterin der SP- Kinder und Jugendsprecherin im Nationalrat, Bundesvorstandsmitglied der Jungen Generation in der SPÖ, Bundesfrauensprecherin der Jungen Generation in der SPÖ.
www.jg.spoe.at/
Christian Fiala
Gynäkologe, Ärztlicher Leiter Gynmed und MUVS Gründer
„Das derzeitige Verbot ist ein Relikt aus der Monarchie und ungeeignet für eine Demokratie. Es ist ein Irrglaube, dass der Staat oder die Religion besser wüssten, was gut für Frauen und deren Kinder ist. Als Gesellschaft müssen wir akzeptieren, dass nur die be- troffene Frau eine verantwortungsbewusste Entscheidung treffen kann. Eine geringe Anzahl an Abbrüchen kann nur durch gute Prävention erreicht werden. Dorthin müssen wir unser Engagement richten.“
Jahrgang 1959, Arzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit internationaler Berufserfahrung in Frankreich, Asien und Afrika. Bereits seit dem Medizinstudium in Innsbruck engagiert in der Familienplanung in Österreich und international. Seit 2002 ist sein Schwerpunkt die Betreuung und Behandlung von ungewollt schwangeren Frauen und die Prävention ungewollter Schwangerschaften. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist, die Autonomie von Frauen zu stärken. U.a. langjähriger Vorsitzender der Internationalen Vereinigung von Fachkräften zu Schwangerschaftsabbruch und Verhütung (www.fiapac.org), Vorstandsmitglied der Europäischen Gesellschaft für Kontrazeption (www.escrh.eu), Autor zahlreicher Publikationen und Vorträge.
www.gynmed.at
Fotos von der Podiumsdiskussion
Foyer und Austellung
Pauline Marcelle
The Fence
80 x 125cm/Paper, Lack, Wire, Needles, 2015
Die Stricknadel – als weit verbreitetes und landläufig bekanntes historisches Abtreibungsinstrument – ist das Symbol für das Leiden und Sterben der Frauen vor der Fristenlösung. Der Maschendrahtzaun gespickt mit Stricknadeln symbolisiert die angedrohte Strafe und gleichzeitig die Barriere zur Abschaffung der Fristenlösung für eine echte Selbstbestimmung der Frau in ihren reproduktiven Entscheidungen. Die Hintergrund Collage besteht aus einem Film Still von Claude Chabrols Film "Eine Frauensache" mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle als Engelmacherin "Marie Latour" (1988). Kombiniert wurden Zeitungsartikel über Vorfälle von Engelmacherin in den 1970er Jahren.
www.paulinemarcelle.com