Forschungsgebiet künstliche Befruchtung
Seiten 130-132
Zu Beginn des Jahres 1943 treffen sich Knaus und acht weitere Kliniker sowie ein Veterinärmediziner und ein Jurist zu einer ›wissenschaftlichen Aussprache‹ über die künstliche Befruchtung. Knaus kann einen sehr erfolgreichen Fall präsentieren, bei dem er bereits im ersten Behandlungszyklus eine Schwangerschaft herbei geführt hat, während ein weniger erfolgreicher Kollege meint, »daß die künstliche Befruchtung doch mindestens ein halbes, besser jedoch 1 Jahr monatlich mindestens einmal ausgeführt werden muß«. Seinen schnellen Erfolg führt Knaus auf seine »gezielte Samenübertragung« zurück: »So wie jeder erfahrene Züchter nach dem Zeitpunkt des Auftretens der Brunsterscheinungen den Ovulations bzw. Konzeptionstermin seiner Tiere errechnet und danach handelt, genau so können wir heute mit Hilfe der Menstruationstermine als bekannte Phänomene der Ovarialfunktion auch für jede Frau den Ovulationstermin in ganz einfacher Rechnung ermitteln.«
Aber vielleicht liegt es auch an unterschiedlichen Techniken, mutmaßt Knaus: So erwärmen seine Kollegen beispielsweise die verwendeten Instrumente. Das ist falsch, »denn durch die Erwärmung werden die Samenzellen zu intensiver Bewegung angefacht, und je rascher sie sich bewegen, um so früher erschöpfen sie sich«.619 Warum lesen die Kollegen seine Aufsätze nicht? »In einer Reihe von Arbeiten habe ich mich bemüht, die Besonderheit der Physiologie des männlichen Geschlechtsapparates und der Samenzellen darzustellen und vor allem den Nachweis zu erbringen, daß nicht nur der Hoden, sondern auch sein Produkt, die Samenzellen, eine spezifische Wärmeempfindlichkeit besitzen, und daß die optimale Temperatur für die Konservierung des Samens in vitro 10 °C beträgt.«
Die Beschäftigung mit der künstlichen Befruchtung bietet Knaus nicht nur ärztliche Befriedigung, sondern stellt auch eine große intellektuelle Aufgabe dar. Umso schwerer wird es ihn treffen, als er das Thema auf Geheiß der katholischen Kirche wird aufgeben müssen. Doch noch ist es nicht so weit. Noch ist er mit Herzblut bei der Sache; hier kann er aus dem Schatz seiner tierexperimentellen Forschungen schöpfen und seine physiologischen Beweisführungen einbringen. Vom Ton her ist Knaus weniger aggressiv als zuvor, doch wird auch sein ›gemäßigter‹ Stil die Kollegen nicht gefreut haben: »[Meine] Aussprache […] zeigte, dass die befragten Kliniker […] ganz mangelhafte Kenntnisse von der Physiologie der Zeugung des Menschen hatten. […] In einer Arbeit […] habe ich auf alle Fehler hingewiesen, die meine Kollegen gemacht hatten und die erklärten, warum fast alle ihre Versuche mit der künstlichen Insemination zu keinem Erfolg führen konnten.«
Dabei geht es scheinbar weniger um handwerkliche als um psychologische Hindernisse – und zwar aufseiten der durchführenden Ärzte. So sagt etwa Walter Stoeckel: »Die künstliche Befruchtung bedeutet Überwindung – sowohl bei dem Ehepaar, das sich ihr unterziehen will, als auch beim Arzt, der sie vornehmen soll.«
Diese Aversion trübt den sachlichen Blick auf naturwissenschaftliche Fakten:
›Kühlen geht gar nicht‹, meint beispielsweise Stoeckel zur Frage der optimalen Handhabung des Spermas, denn es bedeute eine »Entmystifizierung der Zeugung«: »Ein Vorgang, in dem das höchste irdische Glück beschlossen liegt, wird in brutaler Weise mechanisiert und so völlig alles Ideellen beraubt, dass er als eine fast entwürdigende mechanisierte Maßnahme empfunden werden muss.«
Während solche Auffassungsunterschiede hinsichtlich technischer Zugänge heute überwunden sind, haben sich prinzipielle Diskussionen nicht wesentlich verändert: »Sehr interessant ist die Einstellung jedes einzelnen der 9 Kliniker zur Frage der Benutzung eines ehefremden Samens für die künstliche Befruchtung einer genitalgesunden Frau, von deren Mann, mit dem sie glücklich verheiratet ist, kein Samen gewonnen werden kann.« Nur Knaus und zwei Kollegen »bejahen die Berechtigung dieser ärztlichen Handlung unter strenger Einhaltung bestimmter Vorsichtsmaßnahmen, nämlich wenn diese Art einer künstlichen Befruchtung von beiden Ehegatten ausdrücklich gewünscht und der Spender über die Verwendung seines Samens unterrichtet wird«. Außerdem dürfen »sich die Ehegatten und der Samenspender weder persönlich kennenlernen, noch ihre Namen gegenseitig erfahren.« Knaus findet seine Samenspender unter seinen »zahlreichen Hörern«.