Knaus bekommt (wenigstens) ein Primariat

»Da Prof. Dr. Knaus in der Qualifikation alle anderen Bewerber um ein Viel­faches überragt«, wird er 1950 zum provisorischen Leiter der Frauenabteilung an der Rudolfstiftung ernannt, obwohl er mit seinen 58 Jahren das dienstrechtlich zu­ lässige Höchstalter für eine Bestellung in den städtischen Dienst bereits überschrit­ten hat. Neben seinem außergewöhnlichen wissenschaftlichen und ärztlichen Ruf spricht auch für ihn, dass er »ein ehrenhaftes Vorleben [hat] und die zur Er­füllung der Dienstobliegenheiten notwendigen geistigen und körperlichen Fähigkeiten aufweist. […] In politischer Hinsicht erscheint er einwandfrei, er ist gemäß den Bestimmungen für die Registrierung der Nationalsozialisten nicht registrie­rungspflichtig.« Auf die Frage, ob er während des NS­Regimes aus politischen Gründen gemaßregelt wurde, kann er anführen, dass er genau aus diesem Grund erst 1944 in seiner Funktion als Klinikchef bestätigt wurde. An Sprachen spricht Knaus Englisch und Französisch, seine Körpergröße beträgt laut Fragebogen des Magistrates der Stadt Wien 173 Zentimeter, er hat einen Führerschein, kann Ma­schine schreiben, aber nicht stenografieren. Mit seinem Umzug von Graz nach Wien verlegt Hermann Knaus auch seine private Ordination dorthin, nämlich von der Grabenstraße 3 nach Wien 3, Heu­ markt 13.

Bereits im Oktober 1950 wechselt Knaus von der Rudolfstiftung in das – eben­ falls städtische – Krankenhaus Lainz, wo er von Paul Werner die geburtshilf­lich­gynäkologische Abteilung übernimmt. Werner ist zu diesem Zeitpunkt zwar schon 68 Jahre alt, fühlt sich aber aus seiner Stellung »plötzlich unter den sonder­ barsten Begleitumständen verdrängt«.

Das Krankenhaus Lainz präsentiert sich selbst als »das repräsentativste und besteingerichtete unserer Stadt und Österreichs«, das »mit seinen 1800 Betten […] an Größe nur noch vom Wiener Allgemeinen Krankenhaus übertroffen« wird.

Die Bombenschäden sind beseitigt, kostspielige Modernisierungen wurden durch­ geführt. Seit seiner Eröffnung im Jahr 1913 verfügt es auch über eine gynäkologi­ sche Abteilung.

Am Ende seiner Amtszeit im Jahr 1960 wird Knaus allerdings sehr abfällig über die Gynäkologie von Lainz urteilen, »die wegen ständigen Unterbelages vor der Schließung stand«. Nur er selbst habe sie »wieder zu Ansehen und lebhafter Frequentierung durch in­ und ausländische Patienten« emporgeführt. Der Herr Bürgermeister habe damals seine Zusage, die »ich aus patriotischen Gefühlen gefasst hatte, mit der Bemerkung [gewürdigt], ich sei ein Idealist und die Gemeinde Wien werde alles in ihrer Macht Stehende tun, damit ich meinen Entschluss nicht zu bereuen hätte«.

Anders als die angestrebte Universitätsklinik mit ihren Forschungsmöglich­keiten sind allerdings beide Häuser, sowohl die Rudolfstiftung als auch das Kran­kenhaus Lainz, Versorgungs­ und Ausbildungsspitäler der Gemeinde Wien. So beschäftigt sich Hermann Knaus nun vor allem mit chirurgischen und sonstigen therapeutischen Fragen. Wie jeder neue Chef gestaltet Knaus OP­Saal und OP­ Ablauf um: Die weißen Wände werden dunkelgrau gestrichen, damit die Augen nicht zu sehr angestrengt werden. Er führt neue Instrumente ein, mit denen er in Prag gearbeitet hat, schafft einen neuen OP­Tisch und neue Lampen an. Auch die Stellung der Schwestern und der Ablauf einer OP ändern sich.

In den ersten wissenschaftlichen Vorträgen und Veröffentlichungen nach Über­nahme des Primariates erörtert er anhand von Fallgeschichten seine Methoden und Vorgangsweisen; dabei zollt er auch anderen Kliniken Tribut, speziell bei der Behandlung des Genitalkarzinoms. Auf seine eigenen Erfolge ist er stolz und zeigt sich gleichzeitig unerwartet bescheiden: »Auch die beglückenden Auswirkungen einer vollendeten operativen Technik berechtigen uns […] noch immer nicht, von einer ›Kunst des Operierens‹ zu sprechen, da wir uns mit unserer operativen Tätigkeit im besten Falle nur dem Handwerklichen des künstlerischen Schaffens zu nähern vermögen. Was wir vielmehr für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im allgemeinen und insbesondere für die operative Behandlung der Kranken benöti­ gen, ist die maximale Entwicklung einer manuellen Geschicklichkeit […]. Nur der manuell geschickte Arzt ist berufen und befähigt, erfolgreich zu wirken.«

Kein Zweifel, dass Knaus mit dem ›manuell geschickten Arzt‹ sich selbst meint – zu Recht. Seine operativen Fähigkeiten und Erfolge werden von Freund und Feind weiterhin vorbehaltlos gelobt und bewundert. Auch seine Operationsschwestern stimmen in dieses Lob ein; so wird ihn etwa Schwester Marianne 1960 in einem Interview folgendermaßen charakterisieren: »Als Operateur ruhig, sicher, manch­ mal (zu recht) zu Tadel aufgelegt, Professor kann poltern, aber nicht aus einer Laune heraus, er verabscheut den Lärm. […] Professor kann […] sehr liebenswürdig sein, nur man muss ein bisserl besser hinhören, dass man’s hört.« Knaus kümmert sich auch nach der Operation um seine Patientinnen, lässt sich jeden Nachmittag von seinen Assistenten anrufen und über den Zustand der Patientinnen berichten. Eine seiner Hebammen ist noch mehr als fünfzig Jahre später beeindruckt, wie ›unblutig‹ Knaus operiert – nach der Operation sind nur seine Fingerspitzen in den Zwirnhandschuhen rot. Auch seine Ethik und Menschenliebe sind ihr im Ge­dächtnis geblieben: Wenn bei einer Patientin ›nichts mehr zu machen‹ ist, erspart er ihr die Operation. »Ach, lassen wir sie doch, die Arme«, sagt er und verschreibt ausreichend Morphium.

Während Knaus in Wien erste Erfolge erzielt, wird in Amerika gynäkologische Weltgeschichte geschrieben: Anfang 1951 treffen sich in Manhattan die Frauen­ rechtsaktivistin Margaret Sanger und die reiche Erbin Katharine McCormick sowie das Gynäkologenehepaar Hannah und Abraham Stone zum Abendessen mit dem Reproduktionsexperten Gregory Pincus. Sanger, McCormick und die Stones kämpfen seit den 1920er­Jahren für Geburtenkontrolle, sind aber mit den Möglich­keiten unzufrieden. Kann Pincus eine neue Methode entwickeln, die sicher und leicht anwendbar ist? Pincus nimmt die Herausforderung an. Bis die Pille zur Verfügung steht, wird es allerdings noch zehn Jahre dauern.

Neben seiner Arbeit im Spital sowie seiner Privatordination bemüht sich Knaus Anfang der 1950er­Jahre weiterhin um die Verbreitung seiner Lehre: Fast monat­ lich hält er an Wiener Volkshochschulen Lichtbildvorträge über Die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage der Frau und deren sichere Berechnung, aber auch über Die Ursachen des Eintrittes der Geburt oder Zur Berechnung des Geburtstermines. Bis 1955 wird er »allein in Wien 50 [Vorträge] vor überfüllten Sälen« halten, »die mir zeigten, wie dankbar die Menschen für die ihnen erteilte Auf klärung waren«. Da er unter der Woche von 8 bis 13 Uhr und am Samstag von 8 bis 9 Uhr früh im Spital arbeitet, kann er sich entsprechend organisieren.

Viel schwieriger ist es bei Vorträgen außerhalb Wiens, schon gar bei Reisen ins Ausland. Weil Knaus dafür einen ›Sonderurlaub mit Bezügen‹ beantragen muss, geht ihnen ein großer administrativer Aufwand voraus. Etwa als er im April 1951 zu einem Vortrag beim Kongress der Deutschen Gynäkologen in Bad Pyrmont bei Hannover eingeladen ist. Zuerst müssen die Anstaltsleitung sowie der Vertrau­ensmännerausschuss des Krankenhauses das Ansuchen befürworten. Als Nächstes muss das Anstaltenamt eine Begründung an die Wiener Magistratsabteilung 2 lie­ fern, »[d]a die Teilnahme des Gesuchstellers an dem genannten Kongress wegen der Möglichkeit des wissenschaftlichen Gedankenaustausches und der Vermitt­lung neuer Heil­ und Behandlungsmethoden im dienstlichen Interesse gelegen ist […]«. Nachdem noch der amtsführende Stadtrat sowie der Magistratsdirek­tor das Ansuchen abgenickt haben, waltet schließlich der Bürgermeister der Bun­deshauptstadt Wien seines Amtes und bewilligt die Reise.

Seine reiche Vortragstätigkeit vor nicht­ärztlichem Publikum scheint (zumin­dest deutsche) Kollegen so aufzubringen, dass das deutsche Bundesministerium des Innern angerufen wird. Doch dieses stellt fest, dass »Vorträge, die das Thema der vermeintlichen Schwangerschaftsverhütung nach solchen Methoden behan­deln, nicht zu den Verfahren gerechnet werden dürfen, die zu denselben Zwecken bestimmt sind wie Verhütungsmittel«. Mit anderen Worten: Knaus und seine Anhänger dürfen seine Methode weiterhin öffentlich propagieren.