Sein Widersacher Kurt Strauß

Auch Knaus ist gegen diese Berufung, allerdings vergeblich. Um ihn zu neutra­lisieren, lädt ihn Reichsgesundheitsführer Conti als Beobachter zu einer Opera­tion von Kurt Strauß ein. Davon macht Knaus nicht Gebrauch. Einige Monate nach Strauß’ Amtsantritt schreibt Hermann Knaus an den Rektor, das NSDAP­ und SS­Mitglied Wilhelm Saure, dass sich die wissenschaftlichen und operativen Bedenken gegen die Ernennung von Strauß »als durchaus gerechtfertigt erweisen, denn seine operative Tätigkeit ist von einer relativ so hohen Mortalität begleitet, dass diese bereits zu den wildesten Gerüchten in der Stadt und im ganzen Land Anlass gegeben hat […]«. Saure bespricht sich noch mit anderen und wendet sich zwei Tage später an den mächtigen Staatssekretär SS­Gruppenführer Karl Hermann Frank mit der Bitte, »dass im Interesse der Universität sowohl wie auch im persönlichen Interesse von Professor Strauss seine möglichst baldige anderwei­tige Verwendung aus dienstlichen Gründen in Erwägung zu ziehen ist«. Davon kann allerdings keine Rede sein; Strauß sitzt gut im Sattel, wird 1940 sogar zum definitiven Chef der Klinik bestellt, auch wenn es dort offenbar kriselt: Sein Ober­ arzt Walter Dick hat sich hinter seinem Rücken um ein Primariat beworben. Dieses »Vorgehen […] zeigt […] einen Mangel an Takt und das Fehlen der selbstver­ständlichen Gefolgschaftstreue, die nach nationalsozialistischer Auffassung der wesentliche Grundzug in einem Betriebe ist«, beklagt sich Strauß beim städtischen Personalreferenten. Doch noch schlimmer als dieser Vertrauensbruch ist die Tatsache, dass Dick zur Erhärtung seiner Qualifikation ein Gutachten von Knaus vorgelegt hat. Strauß schäumt vor Wut: »Herr Professor Knaus ist bekanntlich Gynäkologe und kann demnach chirurgische Leistungen nicht beurteilen.« Das tut weh.

Knaus wird beauftragt, die Operationsergebnisse von Strauß für den inter­ nen Amtsgebrauch zu überprüfen: Nach den ersten elf Monaten von Kurt Strauß’ Amtsführung (1940) sind an seiner Klinik 102 Patientinnen und Patienten verstor­ ben, davon 79 nach einer Operation. Mehr als die Hälfte von ihnen wurde von Strauß selbst operiert. Als Reaktion darauf verlangt auch der Reichsprotektor, dass Strauß abberufen wird, und verweigert Strauß die Überreichung des von Adolf Hitler bereits unterzeichneten Ernennungsdekrets.

Seit dem Gerangel um Strauß bekommt Knaus Gegenwind zu spüren – manch­ mal subtil, manchmal weniger subtil. Anfang November 1940 beklagt er sich etwa beim Rektor, dass alle anderen Funktionsträger der Universität samt Gattinnen vom Reichsprotektor zu einem Konzert des berühmten Dirigenten Wilhelm Furt­wängler eingeladen gewesen seien – außer ihm und seiner Frau: »Ich ersuche nun Eure Magnifizenz, untersuchen zu wollen, warum die mir als Dekan zustehenden Konzertkarten nicht zugewiesen wurden und zu veranlassen, dass sich der für die­ ses Vorgehen schuldig Befundene bei mir persönlich wegen dieser beleidigenden Behandlung entschuldige.« Knaus geht es hier nicht nur um Prestige, sondern auch um Enttäuschung; in einem Brief wird er einmal schreiben: »[D]ie Liebe und Pflege der Musik ist ein grosser Trost für das ganze Leben.«

Ende 1940 bittet Knaus darum, nun wirklich von seinen Pflichten als Dekan der medizinischen Fakultät entbunden zu werden. Ob er damit dem Druck gegen seine Person nachgibt oder ob die angeführte »wissenschaftliche Überlastung« den wah­ren Grund für seinen Rückzug darstellt, wird von verschiedenen Stimmen unter­ schiedlich bewertet.

Um Knaus’ Bericht über die Operationsmortalität von Strauß zu überprüfen, wird eine Kommission unter der Leitung des Berliner Chirurgen Ferdinand Sau­erbruch eingesetzt. Dieser kommt trotz seiner »außerordentlich schwankenden Haltung« zu einem für Strauß »sehr wohlwollenden« Ergebnis: »[D]er Bericht des früheren Dekans Prof. Dr. Knaus [enthalte] Unrichtigkeiten bzw. Irrtümer; nach Meinung der Kommission sei die behauptete gesteigerte Mortalität bei Prof. Strauß nicht erwiesen.« Dennoch hätten sich bei Strauß »fraglos fachliche Unzulänglichkeiten ergeben«. Strauß soll seinen Platz in Prag räumen und »Ver­wendung an anderer Stelle« finden.508 Das wird nicht so leicht sein, denn keine Universität will ihn haben. Um seine Chancen zu verbessern, wird ihm nun die Ernennungsurkunde zum ordentlichen Professor auf Lebenszeit versprochen, wenn er im Gegenzug auf Lehrstuhl und Leitung der chirurgischen Universitäts­klinik in Prag verzichtet. Nach langem Nervenkrieg wird Strauß schließlich nach­ geben.