Bertolt Brecht: Ballade vom Paragraphen 218 (1929)
Herr Doktor, die Periode...
Na, freun Sie sich doch man
Daß die Bevölkerungsquote
Mal'n bißchen wachsen kann.
Herr Doktor, ohne Wohnung...
Na, 'n Bett wern Sie wohl noch ham
Da gönn' Sie sich 'n bisschen Schonung
Und halten sich'n bisschen stramm.
Da sind Sie mal 'ne nette kleine Mutter
Und schaffen mal'n Stück Kanonenfutter
Dazu ham Sie 'n Bauch, und das müssen Sie auch
Und das wissen Sie auch
Und jetzt keinen Stuss
Und jetzt werden Sie Mutter und Schluss.
Herr Doktor, 'n Arbeitsloser
Daß der nicht'n Kind haben kann...
Na, Frauchen, so was is'n bloßer
Antrieb für Ihren Mann.
Herr Doktor, bitte, .... Frau Renner
Da kann ich Sie nicht verstehn
Sehn Sie, Frauchen, der Staat braucht Männer
Die an der Maschine stehn.
Da sind Sie mal 'ne nette kleine Mutter
Und schaffen noch'n Stück Maschinenfutter
Dazu ham Sie 'n Bauch, und das müssen Sie auch
Und das wissen Sie auch
Und jetzt keinen Stuss
Und jetzt werden Sie Mutter und Schluss.
Herr Doktor, wo soll ich denn liegen...
Frau Renner, quasseln Sie nicht
Erst wollen Sie das Vergnügen
Und dann wollen Sie nicht Ihre Pflicht.
Und wenn wir mal was verbieten
Dann wissen wir schon, was wir tun
Und drum sei'n Sie mal ganz zufrieden
Und lassen Sie das mal unsere Sache sein, ja?
Und nun
Seien Sie mal 'ne nette kleine Mutter
Und schaffen noch'n Stück Kanonenfutter
Dazu ham Sie 'n Bauch, und das müssen Sie auch
Und das wissn Sie auch
Und jetzt keinen Stuss.
Bildquelle: www.amazon.de (2008)
Der Schriftsteller Bert Brecht (1898 – 1956) war einer der vielen Künstler, die sich in den 1920-Jahren in Deutschland für die ersatzlose Streichung des Abtreibungs-Paragraphen (§218) oder wenigstens für Straffreiheit bei einem Abbruch in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten engagierten. Hintergrund für diesen Kampf war die bittere wirtschaftliche Not breiter Bevölkerungsschichten. Entsprechend stieg die Zahl der Abtreibungen zum Ende des Jahrzehnts auf rund eine Million jährlich an - trotz Strafandrohung: 1926 wurde die Strafe für Abtreibung von fünf Jahren Zuchthaus auf ‚nur’ Gefängnisstrafe reduziert, 1927 wurde zwar der Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen Gründen legalisiert, soziale und wirtschaftliche Gründe aber nach wie vor nicht anerkannt.
Mit dem brisanten Thema beschäftigte sich Brecht bereits 1922 in seinem Gedicht ‚Von der Kindsmörderin Marie Farrar’, sowie in verklausulierter Form in anderen Werken. 1929 griff er die verzweifelte Lage einer Arbeiterfrau klar und deutlich in seiner ‚Ballade vom Paragraphen 218’ auf. Sie schildert dem Arzt ihre Lebenssituation – ohne Wohnung, der Mann ohne Arbeit – doch statt Hilfe zu bekommen, wird sie mit ironischen Hinweisen auf ihre ‚Pflicht als Frau und Mutter’ abgefertigt.