Christiaan Barnard: Die Erbsünde (1976)
.... "Apropos Abtreibungen", sagte er gewollt beiläufig. "Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn ein unverheiratetes Mädchen mich bitten würde-"
"Wenn ihr Leben oder ihre Gesundheit in Gefahr ist, ja", sagte Philip sofort. "Sonst nicht."
"Ich weiß. So steht es im Buch. Aber du hast ja selbst eben gezweifelt, ob das immer richtig ist. Es bit doch auch andere Situationen, in denen eine Abtreibung ratsam ist."
"Und die wären?"
"Gesellschaftliche. Die Gesundheit einer Frau ist ja nicht das einzige, das auf dem Spiel steht. Ihr Platz in der Gesellschaft könnte gefährtet sein."
"Dann sollte sie Geburtenregelung praktizieren."
"Ist denn eine Abtreibung nicht auch eine Art der Geburtenregelung?"
"Diese Frage habe ich dir schon beantwortet. Ein Fötus kann selbständig exisitieren, also hat er ein Recht, geboren zu werden." ....
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Er hoffte zu Gott, daß die Frau tüchtig war, blaugetönt oder nicht. Er sah wieder auf die Uhr, zum zigsten Mal in den letzten fünf Minuten. Trish war seit zehn Minuten fort, fast fünfzehn. Diesmal mußte doch etwas geschehen. Man konnte sie doch nicht ewig zum Narren halten. ....
....Sie sagte es leichthin, fast tröstend. Sie will mir Mut machen dachte er und war gerührt. Er versuchte, auf ihren unbekümmerten Ton einzugehen, und lächelte sie erleichtert an. "Nicht so schlimm, wie du es dir vorgestellt hast?"
"Nein." Nach einer kleinen Pause fuhr sie, wie unter einem Zwang, fort. "Also, ich mußte mich ausziehen, und dann mußte ich mich auf den Fußboden legen, und -"
"Auf den Fußboden?" unterbrach er beunruhigt.
"Ach, sie hat zuerst eine Menge Handtücher hingelegt." Sie machte eine lässige Bewegung mit dem Handgelenk. "Sicher alles steril. Es wirkte alles sehr sauber. Sie hatte auch Gummihandschuhe an."
"Ein Trost."
"Dann", fuhr sie unbeirrt fort, "desinfizierte sie mich, und dann nahm sie dieses Ding, dieses Instrument..."
Sie hielt inne, als verusche sie sich zu erinnern, und fuhr dann mit derselben Stimme fort, in demselben beherrschten Tonfall, und doch klang sie anders, als ob eisig dunkle Ströme vom Meeresgrund an die Oberfläche drängten. "Es hat nicht weh getan. Es war nur irgendwie unangenehm, als sie das Zeug reinspritzte... ich glaube, es war Öl, irgendein Öl, so fühlte es sich an. Aber weh getan hat es nicht", wiederholte sie mit wachsendem Grauen und selbstquälerischem Zweifel...
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...Sie stand mit dem Rücken zu ihm in dem winzigen Raum, der ursprünglich als Toilette für die Bediensteten gedacht war und nur das Allernötigste enthielt: eine Dusche mit kaltem Wasser und eine Toilette. ... Trisch hatte die Schlafanzughose ausgezogen; Blut floß ihr langsam die nackten Beine hinunter, aber sie achtete nicht darauf. Sie starrte reglos in die Toilette. Er blickte ihr über die Schulter und sah, warum sie so geschrien hatte.
Er mußte wohl gestöhnt haben, denn Trish sah sich um. "Es ist tot", sagte sie beiläufig, als mache sie eine Bemerkung über das Wetter. ...
..."Es ist ein wahres Wunder, daß Etienne überhaupt lebt. Er ist eine Frühgeburt, nach einer versuchten Abtreibung zwei Monate zu früh geboren."
"Was?"
"Unglaublich, nicht?"
"Ein praktischer Arzt, den ich kennenlernte, als ich Oberarzt in der Chirurgie war, behandelte den Fall. Eine junge Frau und ihr Freund kamen zu ihm, wegen einer Abtreibung, aber da sie schon in den achten Monat ging, lehnte er natürllich ab. Ein paar Tage später kam sie wieder, mit starken Wehen. Offenbar hatte sie es selbst versucht. Das Herz des Fötus war nicht zu hören, und der Arzt sagte ihr, das Kind sei tot. Sie war natürlich erleichtert. ....
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... "Und hättest du in ihrem Fall zu einer Schwangerschaftsunterbrechung geraten?"
"Ja", sagte Philip, ohne zu zögern.
Deon lachte kurz auf. "Ich meine mich aber zu erinnern, daß du früher anderes darüber gedacht hast."...
... "Ich bin immer noch dagegen, wenn es sich darum handelt, lediglich eine unerwünschte Schwangerschaft zu beendigen. Aber wenn eine Abtreibung die Geburt eines unheilbar kranken Kindes verhindert, bin ich ganz dafür..."
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...Philip fuhr fort, auf seinem Hocker hin und her zu schwenken. "Erst einmal mußt du mir sagen, wann deiner Definition nach <menschliches Leben> beginnt. Vergiß nicht, daß der Embryo, von dem du sprichst, nicht mehr als eine nadelkopfgroße Blastozyste ist. Es gitbt heute hochangesehene Wissenschaftler, nach denen das Leben erst beginnt, wenn das Kind geboren und als normal befunden wurde."