Gotthold Friedrich Stäudlin: Seltha, die Kindermörderin (1782)
Ha! wie getroffen steh' ich hier!Wie ist das Mark, die Seele mir
Von bangem Schaur durchflossen!
Ach weh! es ist dein Blut, mein Kind!
Das hier an diesem Felsen rinnt!
Ach weh! ich hab's vergossen!
Vergossen, Mutter! Kindesblut!
Fühl's ganz, wie lastend auf dir ruht
Der Fluch vom Sündenrächer!
Nimm, armes Weib! nimm aus der Hand
Der Rache, die von Gott gesandt,
Den giftgefüllten Becher!
Dich trifft die Rache nicht allein!
Auch Warthfils harret Höllenpein,
Der treulos dich verlassen?
Ha! siehst du nicht die Furien
Mit Geißeln, die den Schändlichen
An Nacken wütend fassen!
Der Falsche! - Ach! wie liebt' ich ihn!
Gab ihm der Unschuld Blüte hin
Mit zärtlichen Bedauern!
Zertreten ist die Blume nun!
Der sie zertrat, er floh davon
Auf neuen Raub zu lauern!
Magst buhlen auch in fernem Land,
Verräter! wirst du doch der Hand
Des Richters nicht entfliehen!
In Stunden süßer Taumellust
Wirst fühlen in der bangen Brust
Die ganze Hölle glühen!
In jedem Traum mit Angst erfüllt
Wird mein und meines Kindes Bild
Dir vor den Blicken schweben!
Wirst hören meinen Fluch - wirst sehn
Bluttropfen den Getöteten
An Stirn' und Wange kleben!
Will stehn am Lager Nächte lang
Und dir in stürmendem Gesang
Des Meineids Strafe singen!
Wie Donner soll ein jeder Schwur,
Von Gott gehört und der Natur,
In deine Ohren dringen! -
Ach wehe! da ich fluche dir,
Grausamer Vater! seh' ich hier
Dein Kind zu meinen Füßen!
Ich sehe noch um seinen Mund,
Entstellt von Todesbläss' und Wund',
Ein süßes Lächeln fließen!
Weg Leichnam! - dein gebrochner Blick,
Dein totes Lächeln heischt zurück
Von mir, von mir dein Leben!
Wollt' schmachten Jahre lang in Pein,
Ein Scheusal unter Menschen sein;
Könnt' ich dir's wieder geben!
So mordet dann mich Mörderin!
Nimmt all mein Blut mein Leben hin!
Was weil' ich auf der Erde,
Wo meinen Blicken überall
Mein Kind erscheint in Todesqual
Mit blutiger Gebärde!
Straf Richter du und Rächer mich!
Erbarme mein, Erbarmer, dich!
O schon der Hoffnungslosen
Verlaßnen Mutter! - Ewig nicht
Verwirf von deinem Angesicht,
Die Kindesblut vergossen!