Heinrich Böll: Ansichten eines Clowns (1963)
Ich bat sie auch, mir doch genau zu erklären, was sie im Krankenhaus mit ihr gemacht hatten, sie sagte, es wäre eine „Frauensache“ gewesen, „harmlos, aber scheußlich“. Das Wort Frauensache flößt mir Schrecken ein. Es klingt für mich auf eine böse Weise geheimnisvoll, weil ich in diesen Dingen vollkommen unwissend bin. Ich war schon drei Jahre mit Marie zusammen, als ich zum erstenmal etwas von dieser „Frauensache“ erfuhr. Ich wußte natürlich, wie Frauen Kinder bekommen, aber von den Einzelheiten wußte ich nichts. …. Der zweite, der mir davon erzählte, war Karl Emonds, mein Schulkamerad, der dauernd mit seinen fürchterlichen Empfängnistabellen hantiert.
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Nachmittags, als die Sittenpolizei kam, war ich froh, daß Marie weg war, obwohl die Tatsache, daß sie weg war, für mich äußerst peinlich wurde. … „Sie müssen das verstehen“, sagte die Beamtin, „gewisse Stichproben müssen wir schon machen, wenn Durchreisende abortive – sie hüstelte – Erkrankungen haben.“ „Ich verstehe alles“, sagte ich – ich hatte im Lexikon nichts von abortiv gelesen.
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Gedämpft die Gereiztheit in den Stimmen, nie persönlich; sie riß nur manchmal aus der gleichmäßigen Kurve aus und kratzte Zacken in den Nachbarschaftshimmel, immer aus nichtigen, nie aus den wahren Anlässen: wenn eine Untertasse klirrend zerbrach, ein rollender Ball Blumen knickte … - werden die Stimmen schrill, die wegen Betrug, Ehebruch, Abtreibung nicht schrill werden dürfen.
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Später schrieb meine Mutter sogar, sie habe mich „verstoßen“. Sie kann bis zur Idiotie geschmacklos sein, denn sie zitierte den Ausdruck aus einem Roman von Schnitzler, der ‚Herz im Zwiespalt‘ heißt. In diesem Roman wird ein Mädchen von seinen Eltern „verstoßen“, weil es sich weigert, ein Kind zur Welt zu bringen, das ein „edler, aber schwacher Künstler“, ich glaube, ein Schauspieler, ihr gezeugt hat.