Johannes Guttzeit: Ein dunkler Punkt. Das Verbrechen gegen das keimende Leben oder die Fruchtabtreibung (1922)
In den ältesten geschichtlichen Zeiten gab es keine Strafandrohung gegen die Fruchtabtreibung, schon aus dem Grunde, weil sogar Tötung und Aussetzung der Kinder gestattet war, aber zweifellos auch, weil die mutterrechtlichen Anschauungen die spätere Auffassung ausschlossen, daß ein anderer als die Schwangere selbst sich rechtlich um die Frucht in ihrem Leibe zu kümmern habe. In dem Maße ungefähr, wie der Patriarchalismus an Boden gewann, änderte sich dies.
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Wenn heute die Schwangere für die durch sie selbst oder auf ihre Veranlassung durch sie bewirkte Beseitigung ihrer noch nicht lebensfähigen Frucht verantwortlich gemacht und, gleichwie auch ihre Helfer, in Strafe genommen wird, so kann das nur geschehen auf Grund der herrschenden oder als herrschend angenommen Anschauung, daß ihre gleichwohl noch nicht lebensfähige Frucht nicht ein Teil ihres Körpers sei, den sie wie einen schmerzenden Zahn beliebig von sich tun oder tun lassen dürfte, sondern entweder eine eigene Rechtsperson oder ein Gegenstand, and den, d.h. an dessen Menschwerdung andere ein Anrecht haben. Hieraus erhellt, daß es bei dieser Rechtsfrage auf die Stellung ankommt, die der Frau innerhalb der Gesellschaft eingeräumt wird.
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