Pro Familia Bremen: Wir wollen nicht nach Holland fahren (1978)
Alle Erfahrungen zeigen, daß Frauen den gesetzlich vorgeschriebenen Gang durch die Instanzen als Mißachtung und Eingriff in ihre Lebensplanung betrachten. Sie haben Angst vor dem Befragungsprozeß, in dem Routiniers der ‚§-218-Befragung’ nach gesetzlichen Aspekten, aber auch nach ihren privaten Meinungen und Ansichten, den Entschluß der Frauen zum Schwangerschaftsabbruch begutachten. In diesem Prozeß wird mit der ideologisch-weltanschaulichen Messlatte der jeweiligen 218-Beratungsstelle oder nach dem gänzlich undurchschaubaren ärztlichen Ermessen entschieden, ob der Abbruch nach einer Notlagenindikation erfolgen darf oder nicht. Die Überlegungen der Frauen spielen dabei entsprechend dem Gesetz nur eine untergeordnete Rolle.
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Kindergärtnerin, 26 Jahre, ledig, Hessen:
„Ich hätte auch von Freundinnen eine Adresse in Deutschland bekommen können, aber das wollte ich nicht, weil das alles so heimlich passiert. Hier in Holland weiß ich, daß das offen und gut gemacht wird. Ich habe zum Beispiel gehört, daß es bei einer Adresse in Deutschland 1200DM kostet (umgerechnet auf 2005 ca. 1.370 Euro); das sind ja irre Preise, außerdem will ich das auch nicht so heimlich machen. Es ist ja wirklich ein Witz, daß man nach Holland fahren muß, um einen Abbruch zu bekommen, wo wir doch dieses Gesetz haben. Ich fände das an und für sich besser, es in Deutschland zu machen, aber dort kriegt man ja nur unter ganz krassen Bedingungen eine Indikation. Das finde ich schlimm, daß Frauen bei uns so wenig geholfen wird, daß solche Zustände bei uns herrschen, wo wir doch sonst so fortschrittlich sind. Ich bin glücklich, daß es hier alles so schnell geklappt hat, aber noch besser wäre es, wenn es auch in Deutschland, so schnell und so gut gehen würde.“
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Kindergärtnerin, 26 Jahre, ledig, Hessen:
„Ich bin zu meinem Arzt gegangen, der mir dann diese holländische Adresse gegeben hat. Ich sprach ihn darauf an, daß das doch auch innerhalb der Indikation des § 218 gemacht werden könnte. Ermeinte aber: ‚Nein, das bekommen wir hier nicht durch.’ Es sei sehr schwierig, ich müßte zu mehreren Ärzten laufen und das würde sehr lange dauern. Dann würde ich mich vielleicht schon im fünften oder sechsten Monat befinden, und dann wäre es zu spät. Also das einzige was er mit gutem Gewissen für mich tun könnte, wäre mich nach Holland zu schicken.“’
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Studentin, 22 Jahre, ledig, Baden-Württemberg:
„Als die Periode ausblieb, habe ich noch zwei Wochen gewartet. Ich habe zwar schon geahnt, daß ich schwanger sein könnte und habe auch gleich mit meinem Freund überlegt, was wir tun würden. Wir haben gemeinsam den Entschluß gefaßt zum Abbruch. Ich habe dann noch zur Sicherheit einen Schwangerschaftstest in der Apotheke machen lassen. Dann bin ich gleich mit meinem Freund in die Schweiz gefahren, wo dieser studiert, und habe verschiedene Ärzte abgeklappert. Ich konnte aber nirgends einen Termin für den Schwangerschaftsabbruch bekommen. Die Ärzte waren total überlaufen.“
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Hausfrau, 27 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, Baden-Württemberg:
„Ich habe mit meinem Arzt die Frage eines Schwangerschaftsabbruchs besprochen und ihn gefragt, welche Möglichkeiten es da für mich gibt. Er sagte darauf, gesetzlich gebe es gar keine. Dafür müssten verschiedene Voraussetzungen vorhanden sein, zum Beispiel finanzielle Notlage. Er glaubte aber nicht, daß ich in meiner Lage damit durchkäme. Er sah die einzige Möglichkeit eines Abbruchs darin, nach Holland zu gehen. Der Arzt hat mir auch einen Fall erzählt von einer Frau, die bereits drei Kinder hatte und seiner Ansicht nach auch gute Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch hatte. Sie hat es aber in Deutschland nicht durchsetzen können. Die Klinik hat es abgelehnt, den Abbruch zu machen, und die Frau hat dann die Schwangerschaft austragen müssen. Es wäre besser gewesen gleich nach Holland zu gehen.“
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Beruftätige, 41 Jahre, ein Kind:
„Als Termin für den Abbruch hatte ich einen Tag gewählt, an dem meine Familie verreist war...
Ich ging langsam zum Bahnhof, kaufte mir eine Fahrkarte und stand schon lange vor Abfahrt des Zugs auf dem Bahnsteig.
...Die Klinik befand sich in einem unauffälligen älteren Reihenhaus an einer mit Bäumen bestandenen, breiten Straße.
...Der untersuchende Arzt sagte das Personal dieser Klinik ginge davon aus, daß die betroffenen Frauen ihre Entscheidung letztlich selber zu treffen hätten und daß nicht länger andere darüber entscheiden dürften, was für die Frauen das Richtige sei. Ich hätte meine Entscheidung getroffen und begründet. Er würde dies akzeptieren. Daraufhin erfragte er einige medizinische Daten und untersuchte mich, um festzustellen, wieweit die Schwangerschaft fortgeschritten sei. Es war die achte Woche.
...Nach etwa einer halben Stunde kontrollierte die Schwester, ob eine Blutung eingetreten sei. Da bei mir alles in Ordnung war, mußte ich aufstehen. Ich wäre gern noch etwas liegen geblieben, aber mein Bett wurde wieder gebraucht. Ich zog mich an, packte meine Sachen ein und verabschiedete mich. Ich sagte zu der Schwester, daß ich diesen Vormittag in der Klinik als befreiend empfunden hätte und daß es Zeit wäre, daß auch wir in der Bundesrepublik ähnliche Einrichtungen bekämen. Sie sagte: ‚Ihr deutschen Frauen müßt dafür kämpfen. Von selber kommt es nicht!’...Als ich mich unserem Haus näherte, sah ich schon von weitem, daß etwas Überdimensionales aus dem Briefkasten an der Haustür herausschaute. Der Briefkasten war nicht geleert worden; meine Familie war also noch nicht zurück – niemand hatte etwas gemerkt. Im Briefkasten steckte ein großer Strauß Margeriten. Auf einem Zettel stand ‚Gute Besserung’. Die Blumen waren von einem Freund, von einem der wenigen, die gewußt hatten, daß ich in Holland gewesen war.“
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