Aletta Jacobs (1854-1929)

Wegen des Fehlens verlässlicher Methoden galt Verhütung bis zur Einführung der Pille in den 1960er-Jahren in breiten Ärztekreisen als Tabu-Thema. Moralische und finanzielle Argumente wurden dagegen vorgebracht: Zum einen wurde jede Überlegung zur Familienplanung mit einer Aufforderung zum Schwangerschaftsabbruch gleichgestellt, zum anderen fürchteten viele Ärzte, beim Versagen empfohlener Verhütungsmittel selbst zur Kasse gebeten zu werden.

Doch die holländische Ärztin Aletta Jacobs wollte die Nöte ihrer Patientinnen lindern, mit denen sie während ihrer Ausbildung in einem Amsterdamer Krankenhaus zusammenkam: "Während meiner Spitalstätigkeit wurde ich Augenzeuge, welche katastrophalen Auswirkungen häufige Schwangerschaften auf das Leben einer Frau haben können. In langen Gesprächen haben mir viele Patientinnen klar gemacht, dass sie weitere Schwangerschaften nicht verhindern können, wenn sexuelle Enthaltsamkeit ihre einzige Verhütungsmöglichkeit ist. Ich habe Tage damit verbracht, nach Lösungen zu suchen."

Endlich stieß Jacobs auf einen Artikel des Flensburger Arztes Dr. Wilhelm Mensinga (1836-1910), der ebenfalls beobachtet hatte, wie Frauen körperlich und seelisch zugrunde gingen, wenn der Kindersegen unaufhörlich anhielt. Kein Wunder, dass sich Lebensversicherungen sehr ablehnend gegen die Aufnahme von Ehefrauen im gebärfähigen Alter verhielten. Zwar bedrohte der § 218 seit 1871 Abtreibungen mit Gefängnis (für die Frauen), doch gab es keine zugleich sicheren als auch unschädlichen Verhütungsmethoden.


Der Siegeszug des Pessars

Mensinga entwickelte nach langen Versuchen das so genannte Occlusivpessar, eine Gummikappe mit federndem Rand, die den Gebärmuttermund verschließt. Nachdem Jacobs die neue Methode mit einigen Patientinnen erprobt hatte, bot sie sie ab 1881 allgemein an. Die Reaktionen der medizinischen Fachwelt waren heftig: "Obwohl ich keine große Unterstützung durch die Kollegenschaft erwartet hatte, war ich dennoch über den Zorn erstaunt. Ich hatte die Wut der ganzen medizinischen Welt auf mich gezogen." Man riet der einzigen weiblichen Frauenärztin Hollands, ihre Aktion öffentlich zu bereuen und sie sofort einzustellen. Obwohl sie das ablehnte, plagten sie Zweifel: "Würde die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln letztlich zu einer Welt ohne Kinder führen? Würde sie zum Ehebruch einladen? Falls die Geburtenrate sänke, würde sie die wirtschaftliche Stellung meines Landes bedrohen? Diese Fragen verfolgten und quälten mich, war ich doch volkswirtschaftlich eine Laiin. Doch dann beruhigte mich die Überlegung, dass der Wunsch nach einem Kind für die meisten Frauen so groß ist, dass sie nur aus schwerwiegenden Gründen darauf verzichten." 

Jacobs litt besonders unter der Unehrlichkeit ihrer Kritiker: Die meisten Angriffe kamen von Gynäkologen und Geburtshelfern und wurden versteckt geführt; doch kamen dieselben Kritiker heimlich zu ihr, um sich in den Methoden der Familienplanung unterweisen zu lassen. Priester wetterten von der Kanzel gegen die Verhütung, brachten aber ihre Frauen in Jacobs Ordination. Damen der Gesellschaft, die die neue Methode nur zu gern anwandten, sie aber bei Teeparties und in Nähkränzchen schlecht machten. 

Später widmete sich Jacobs vorwiegend dem Kampf um die Einführung des Frauenwahlrechtes. Unmittelbarer Auslöser war der Umstand, dass sie als Ärztin zwar Steuern zahlen musste, als Frau aber keine politische Stimme hatte. 

Aletta Jacobs war mit dem Politiker Carel Victor Gerritsen verheiratet. Seit 1990 verleiht die Universität Groningen den nach ihr benannten Aletta-Jacobs-Preis.