Gerd Hasenbein (?-1964)
Das Förderkomitee der deutschen Wissenschaft muss an einen Scherz statt an ernstzunehmende akademische Forschung geglaubt haben: Beantragt wurde Geld für einen Schwangerschaftstest an Regenwürmern! Noch dazu hieß der Antragsteller Hasenbein. Gerd Hasenbein, Dr. med.
Doch der Antrag kam aus der renommierten Universitäts-Frauenklinik Kiel und der dortige Assistent, Dr. Hasenbein, hatte bereits im Oktober 1949 bei der Tagung der Nordwestdeutschen Gesellschaft für Gynäkologie von seinen Forschungsarbeiten berichtet: Er wollte mit Hilfe von Regenwürmern einen zuverlässigen Schwangerschaftstest für Frauen entwickeln. Daher unterstützte der Gutachter Hasenbeins Ersuchen um 500 Deutsche Mark für Anschaffungen im Rahmen des Projektes.
Vielfältig und phantasievoll waren seit jeher die Versuche, mittels biologischer Beobachtungen und Tests die ‚Frage aller Fragen’ zu beantworten. Was wurde nicht alles herangezogen: Der Gang der Frau und die Klarheit ihrer Pupillen, ihr Appetit auf ungewöhnliche Speisen, der Hahnenschrei und der Ruf einer Eule, das Wachstum von Gerste und Weizen. Ein Schritt in die moderne Wissenschaft waren die biologischen Tests an Warmblütern wie Kaninchen, Ratten und Mäusen. Seit Mitte der 1920er-Jahre forschten Wissenschafter auch mit Kaltblütern wie Fröschen und Kröten. Sie alle reagieren auf das Schwangerschaftshormon im Harn der schwangeren Frau, indem sie ihrerseits Sperma oder Eizellen produzieren.
Regenwürmer sind anspruchslose Versuchstiere
Hasenbein ging einen neuen Weg: „Als Testtier schien uns der Regenwurm durch sein häufiges Vorkommen, nicht nur auf dem Lande, sondern auch in der Stadt, besonders geeignet. In Deutschland sind 33 Arten von Regenwürmern bekannt, die sich in Größe, Farbe und Gewicht voneinander unterscheiden.“ Mangels eigener Erfahrungen kontaktierte er einen Regenwurmexperten, nämlich Dietrich E. Wilcke von der Zoologischen Sammlung der Universität Bonn. Von ihm lernte er die besten ‚Jagdmethoden’, die einzelnen Entwicklungsstadien der Tiere sowie die richtigen Haltungsbedingungen: Die Würmer werden in großen Behältern, die mit Erde und Laub gefüllt sind, in kühlen Kellerräumen gehalten. Die Erde darf weder zu trocken oder zu feucht sein. Alle drei Monate wird die Erde erneuert.
Bevor dem Tier etwas Harn der potentiell schwangeren Frau injiziert wird, entnimmt man ihm eine Samenblase, um den jeweiligen Stand der Samenbildung festzustellen. Pro Testreihe werden fünf Regenwürmer behandelt, um ein sicheres Ergebnis zu gewährleisten. Zwei Stunden nach der Harninjektion werden die Würmer in 30%igem Alkohol getötet, auf eine Korkplatte gespannt und aufgeschnitten. Zusätzlich stellt man von der vorher entnommenen Samenblase einen Trockenausstrich her. Vor- und Nachausstrich werden miteinander verglichen. Ausschlaggebend sind nur solche Tiere, die im Vorausstrich keinerlei Samenbildung aufweisen. Wenn zwei Stunden nach der Injektion eine Ausschüttung von Spermien oder ihren Vorläufern erfolgt, ist die ‚Harnspenderin’ schwanger. Wenn Vor- und Nachausstrich das gleiche Bild zeigen, lautet die Antwort des Tests ‚nicht schwanger’.
Hasenbein beschäftigte sich rund zehn Jahre mit dem Regenwurmtest. Er strich den Zeitvorteil seiner Methode hervor: „Der Unterschied zwischen Regenwurm und Frosch liegt darin, dass man beim Regenwurm die Wirkung des Gonadotropins schon an der Spermiogenese (Bildung der Spermien) beobachten kann.“ Warum sich das Verfahren weder dadurch noch wegen der guten Trefferwahrscheinlichkeit von 90 Prozent und der bekannten Anspruchslosigkeit von Regenwürmern durchgesetzt hat, ist nicht überliefert. Stattdessen erlebte der Froschtest nach Carlos Galli Mainini einen ungeahnten Aufschwung und war bis zur Entwicklung immunologischer Testverfahren allgemein gebräuchlich.
Gerd Hasenbein wechselte im Jahr 1955 als erster Assistent an die Chirurgische Klinik des städtischen Krankenhauses Bremen-Blumenthal. 1964 starb er – erst 46 Jahre alt.