Margarethe Hardegger (1882-1963)

Das Leben der ‚anarchischen Feministin’ Margarethe Hardegger beginnt ganz bürgerlich: Geburt in Bern, Vater Beamter des Telegrafenamtes, Mutter Hebamme, Lehre als Telefonistin, anschließend nachgeholte Matura, mit 21 Jahren Heirat und Geburt einer Tochter.

Ab nun ist sie rebellisch. Hardegger gründet die Berner Textilgewerkschaft und lernt die Führer der Schweizer Arbeiterbewegung kennen. Mit einer großen Kampagne gegen eine Spinnerei setzt sie ihren politischen Kampf fort und wird 1904 zur ersten Sekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes gewählt. Sie reist, spricht und schreibt unermüdlich und versucht so viele (arbeitende) Frauen wie möglich zu erreichen. Am ersten Frauenstreik der Schweiz (Schokoladearbeiterinnen, 1907) ist sie beteiligt, kämpft für das Frauenstimmrecht sowie für sexuelle Aufklärung und Verbreitung von Verhütungsmitteln. Man sagt von ihr, sie sei „zwar nur eine schwache Frau, verfüge aber über ein sehr gutes Mundwerk, säe Unruhe und komme vor allem bei den Frauen gut an. [Denn] sie fordere das Stimm- und Wahlrecht für die Frauen, trete für eine teure Wöchnerinnenversicherung ein und predige generell die ‚Emacipation’. [...] Sie propagiere die Beschränkung der Kinderzahl und referiere über die Mittel, die dabei helfen.“ Damit stößt sie nicht nur auf Zustimmung in den eigenen Reihen. Wegen Verbreitung ‚unsittlicher’ Literatur wird sie verhaftet und verurteilt, 1909 sägt man sie als Sekretärin des SGB ab.

Ihr Tätigkeitsfeld verlagert sich nun von der Schweiz auf die internationale Gewerkschaftsbühne. Sie unterstützt Wehrdienstverweigerer, setzt sich für die Abschaffung der Armee ein, organisiert den Schmuggel von antimilitaristischem Propagandamaterial und gibt einem Anarchisten vor Gericht ein falsches Alibi. Ab 1909 tritt sie öffentlich für die Abschaffung der Ehe und für die Freie Liebe ein und wird Sekretärin der Reformorganisation Internationaler Orden für Ethik und Kultur. 1914 gründet sie in Bern eine Kommune, übersiedelt mit der Gruppe aufs Land, aber das Modell scheitert.

Neuerliche Gründungen von Siedlerkommunen, außerdem engagiert sie sich in der Freiland-/Freigeldbewegung. Die Liste ihrer politischen Aktivitäten ließe sich noch lange fortsetzen, doch wird der rote Faden schon hier erkennbar: Hardegger bekämpft die Staatsmacht, verweigert ihr den Gehorsam, spricht ihr die Legitimität ab.
 

„Ich habe in manchen Jammer der Frauenwelt hineingesehen“
So ist wohl auch ihr Engagement für Verhütung zu verstehen: Sie gibt Informationen über Produkte weiter, hält Sprechstunden ab, baut sogar einen eigenen Vertrieb auf. Schließlich findet sie im Brüsseler Malthusianisten Dr. Fernand Mascaux eine seriöse und preisgünstige Bezugsquelle für ‚Verhütungszäpfchen gegen Schwangerschaft’, 24 Stück für 3,50 Francs. Wenn aber eine Schwangerschaft bereits eingetreten war, hilft oft die Mutter (Hebamme) oder eine politisch befreundete Ärztin. Hardegger macht Tests mit Medikamenten, vor allem ‚Miodine’, das frühe Schwangerschaften mit hoher Wahrscheinlichkeit beenden konnte. Da Hardegger im Jahr 1908 selbst eine grauenhafte Abtreibung hinter sich gebracht hat, will sie es besser machen und lernt das ‚Handwerk’. Allerdings wird ihr das bald zu gefährlich, denn das Risiko einer langjährigen Freiheitsstrafe ist hoch. Ab 1915 arbeitet sie mit einem Arzt zusammen, der die Abtreibungen durchführt; wenn die Frauen nicht zahlen können, schießt sie ihnen das Geld vor. 1915 wird Hardegger angezeigt: „Die Hardegger ist als Anarchistin signalisiert, und es besteht kein Zweifel, dass dieselbe Abtreiben der Leibesfrucht schon längere Zeit gewerbsmäßig betreibt.“ Doch dank ihrer juristischen Kenntnisse verteidigt sie sich vor Gericht ganz geschickt: „Von ihrer Tätigkeit als Arbeitersekretärin her kenne sie die Angst, welche Arbeiterfrauen vor einer Schwangerschaft haben; diese Angst müsse in diesen durch den Krieg erschwerten Verdienst- und Lebensverhältnissen noch verstärkt sein. Nicht aus Leichtsinn sondern aus Rücksicht auf das Kind suchten sie mit allen Mitteln ihr auszuweichen. Sie kennen auch gefährliche Mittel, deren sie sich bei Selbsthilfe bedienen. Das Abraten davon sei zwecklos, wenn man keine geeigneteren an die Hand gebe, und so habe sie gesagt, dass sie selbst nicht helfen könne, aber an einem Arzt Hilfe wisse.“ Schließlich wird sie ‚nur’ wegen Beihilfe zur Abtreibung zu 12 Monaten Gefängnis verurteilt und zur Verbüßung ihrer Strafe in die ‚Weiberanstalt Hindelbank’ eingewiesen, die wegen ihrer Primitivität und Brutalität gefürchtet ist.

Als sie aus dem Arbeitshaus entlassen wird, ist sie Mitte Dreißig. Sie setzt sich weiterhin für politische Ziele ein und versucht vieles, doch ihre Weggefährten gehen nach und nach verloren und sie kann wegen schwieriger materieller und familiärer Verhältnisse nicht mehr richtig Fuß fassen. „Am meisten schmerzte sie jedoch, dass ihr kaum noch Zeit und Energie bleibt, am Buch zu arbeiten, das ihr politisches und menschliches Vermächtnis werden soll.“ 1963 stirbt sie im Kreis ihrer Familie. Ihr politisch wichtiger Nachlass geht großteils verloren.

 

 

Quelle: Regula Bochsler, Ich folgte meinem Stern – Das kämpferische Leben der Margarethe Hardegger, Pendo-Verlag Zürich, 2004, ISBN 3-85842-573-7