Speton-Taschenspiegel
Ovaler Taschenspiegel als Werbemittel für die Speton-Verhütungstabletten zeigt einen mit Seilen umwickelten Storch auf orangem Hintergrund.
Der ‚gefesselte Storch’ konnte nicht als Warenzeichen geschützt werden, weil die Darstellung nach Ansicht des Patentamtes Mitte der 1920er-Jahre das ‚normale Sittlichkeitsgefühl’ verletzte. Außerdem war der Hersteller der Spetontabletten auf Grund eines Inserates in einer pharmazeutischen Zeitschrift angeklagt worden, das die Packung mit dem gefesselten Storch zeigte. Stein des Anstoßes war dabei nicht der Storch an sich sondern die Werbung für Verhütungsmittel, die als unzüchtig galt(en). Entsprechend vorsichtig formulierte der Hersteller daher auch seine Empfehlung: „Speton sollte nicht von Frauen angewendet werden, die dazu berufen sind, unseren Volksstamm zu erhalten und zu vermehren.“
Der deutsche Reichstag nahm u.a. die Diskussion um den gefesselten Storch zum Anlass, die entsprechenden ‚Unzucht’-Paragraphen 301-303 im Oktober 1929 zu lockern. Der sozialdemokratische Abgeordnete Dr. med. Julius Moses war ein entschiedener Befürworter einer Lockerung: „Solche Verfahren und Regelungen müssten für die Zukunft unmöglich gemacht werden, wenn man der Abtreibungsseuche wirklich entgegentreten wolle. Man dürfe die Industrie in ihren Bestrebungen nicht lahm legen, sondern müsse sie geradezu fördern.“
Schließlich wurde der ‚unzüchtige Gebrauch’ nicht mehr automatisch mit Verhütung gleichgestellt und § 301 in folgender Fassung angenommen: „Wer eine zu unzüchtigem Gebrauch bestimmte Sache feilhält, verkauft, verteilt oder sonst verbreitet oder sie zur Verbreitung herstellt, sich verschafft, vorrätig hält, ankündigt oder anpreist, oder wer sie öffentlich ausstellt, wird mit Gefängnis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Zu diesem Zeitpunkt waren unter den 491 Reichstagsabgeordneten nur 12 Mitglieder der NSDAP. Wenige Jahre später wurden alle liberalen Bestimmungen zurückgenommen und schließlich in ihr Gegenteil verkehrt: Fortpflanzung galt unter dem Nazi-Regime als ‚völkische Pflicht’.