1929: Anna M., Hebamme
Weil die Kindsmutter bei einer der ersten Geburten stirbt, bei denen sie Beistand leistet, wird die Hebamme Anna M. in Pöllau nur selten zu Geburtshilfen herangezogen. Um sich die Kosten für ihren kärglichen Lebensunterhalt zu beschaffen, ist sie zur Übernahme von Näharbeiten gezwungen.
1928 beginnt sie mit verbotenen Eingriffen. Im Juni 1929 erhält die Gendarmerie Kenntnis von ihrem Treiben und beginnt mit Erhebungen. Bei einer Hausdurchsuchung versucht Anna M., ein Namensverzeichnis, einen Brief und zwei kleine Kalender im Sparherd zu verbrennen. Doch die Gendarmen bergen die verkohlten Unterlagen. Verzeichnet sind sowohl 80 Geburten à 15 bis 30 Schilling als auch die Abtreibungen mit den erhaltenen Beträgen.
Daraufhin werden acht Frauen ausfindig gemacht, die sich aufgrund ungewollter Schwangerschaften an Anna gewendet haben. Durch Einführen eines stabförmigen Werkzeuges bzw. eines Metallkatheters in die Gebärmutter wurden ihre Schwangerschaften unterbrochen. Anna M. leugnet anfänglich, gesteht aber schließlich alle Eingriffe, für die sie zwischen 80 und 160 Schilling verlangt habe.
Vielfältig sind die Motive der Frauen und ihrer Partner: Der Lebensgefährte von Maria C. wollte nicht für ein zweites außereheliches Kind sorgen; der Ehemann von Aloisia G. ihr nicht noch eine Geburt zumuten, aus Angst sie zu verlieren; der noch nicht volljährige Freund der Jugendlichen Maria V. habe von ihrem Vorhaben nichts gewusst und nur gewollt, dass diese sich untersuchen lässt. Der Mann von Maria W. ist notorisch eifersüchtig, lässt sie außerdem im Unklaren darüber, was er wirklich will.
Im Gerichtsverfahren wird zuerst festgestellt, dass die Frauen auch wirklich schwanger waren, daß also dem tauglichen Mittel auch ein taugliches Objekt gegenüberstand. Alle Frauen werden wegen Abtreibung schuldig gesprochen; drei Partner als Mitschuldige durch Bezahlen der Kosten. Alle erhalten Strafen zwischen sechs bis zehn Wochen strengen Arrests, verschärft durch zwei harte Lager, bedingte auf zwei Jahren. Maria K. wird freigesprochen.
Die Hebamme Anna M. erhält wegen Vornahme der mechanischen Eingriffe viereinhalb Monate schweren Kerkers ergänzt durch zwei harte Lager. Mildernd wird bei ihr die Notlage zu Beginn ihrer Tätigkeit angesehen, erschwerend die Wiederholung der Eingriffe und der Umstand, dass sie sich trotz des Elends der Frauen, die durchwegs dem dienenden Stande angehören mit Beträgen bis über 100 Schilling bezahlen lässt. Die Niederlassungsbewilligung wird ihr entzogen.
Quelle: Landesarchiv Steiermark; Landesgericht für Strafsachen, Graz, [2] Vr - 1924/1929