1944: Heinrich P., Grete Pl.; Ansuchen um Schwangerschaftsabbruch

Sowohl Heinrich P. als auch seine Braut Grete Pl. sind vollständig blind. Aufgrund ihrer Behinderung scheint eine Ehe finanziell nicht möglich. Da außer Heinrich auch seine Mutter und zwei Geschwister an einer Augenkrankheit leiden, befürchtet er eine erbliche Belastung für das Kind, das Grete von ihm erwartet. Daher beantragt er am 21. August 1944 beim Gesundheitsamt Graz eine Schwangerschaftsunterbrechung aus gesundheitspolitischen Gründen.

Gemäß dem Erlass des Reichsministers des Inneren vom 19.09.1940 muss dieser Antrag vom Reichsstatthalter der Steiermark entschieden werden. Laut fachärztlichem Befund ist eine Erbkrankheit bei Heinrich P. nicht auszuschließen, es könne sich aber auch um eine kongenitale Lues handeln. Gretes Blindheit beruht wahrscheinlich auch auf luetischer Grundlage; sie ist erwerbsunfähig und vollkommen pflegebedürftig.

Im Oktober ist Grete bereits im 5. Monat. Die schriftliche Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreterin zur Schwangerschaftsunterbrechung liegt dem Oberstadtphysikus vor. Erst am 3. November genehmigt der Reichsminister des Inneren die Unterbrechung der Schwangerschaft verbunden mit der Unfruchtbarmachung des Heinrich P. Eine Eheschließung wird nur genehmigt, wenn Heinrich sich dem Eingriff unterzieht. Sollte er sich weigern, wäre beim Erbgesundheitsgericht von Amts wegen ein Antrag zur Unfruchtbarmachung zu stellen.

Am 14. November wird Grete Pl. zur Durchführung der Schwangerschaftsunterbrechung an die Universitäts Frauenklinik eingewiesen. Jedoch ist sie mit einer Unterbrechung nun nicht mehr einverstanden (die Schwangerschaft ist schon weit fortgeschritten) und verlässt die Klinik nach zwei Tagen wieder.

Heinrich P. hat sich bereit erklärt, die Unfruchtbarmachung im Laufe der nächsten zwei Wochen durchführen zu lassen. Die weitere Entwicklung ist den Akten nicht zu entnehmen.


Quelle: Landesarchiv Steiermark, Graz; L.reg 200 I/P 38/1944