Eugenik in Österreich – Biopolitische Strukturen von 1900 bis 1945
Die scheinbar höchst individuelle Entscheidung für/gegen Verhütung und Schwangerschaftsabbruch war in der Vergangenheit und ist auch in der Gegenwart eine beliebte ‚Spielwiese’ externer Interessenten. Alle wollten und wollen das Sagen haben: Kirche, Staat, Militär, Wirtschaft, Ärzteschaft und das Patriachat. Schon vor rund 25 Jahren fragte die Autorin Katharina Riese daher ‚In wessen Garten wächst die Leibesfrucht?’
Die Eugenik (Erbgesundheitslehre, -forschung, -pflege) nimmt für sich in Anspruch, wertfrei und ohne Eigeninteresse die Ausbreitung von krankmachendem Erbgut in menschlichen Populationen möglichst einzuschränken, andererseits erwünschtes Erbgut zu erhalten oder zu vermehren. Menschenfreundliche Bestrebungen stehen dabei auf dünnem Eis. Nicht ohne Grund ist der Terminus ‚Eugenik’ in unseren Köpfen der nationalsozialistischen ‚Euthanasie’ fatal nahe.
Doch die Eugenik-Bewegung ist viel älter und anders. Eugenische Ziele bestimmten den Diskurs des öffentlichen Gesundheitswesen bereits in vielen post-habsburgischen Nationen, auf der Basis eines breiteren politischen Spektrums auch in Österreich vor 1938. Unter der ökonomischen Begründung einer sicheren Abwehr von Gefahren für das Gemeinwohl lief eine Orientierung auf ein biologisch-medizinisch definiertes ‚Volksganzes’.
Aus der Sicht eines Museums für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch ist die Betrachtung der eugenischen Bewegung deshalb interessant, weil sie unsere heutige Gesetzgebung massiv beeinflusst hat. Als Methoden zur Gesunderhaltung des Erbgutes wurden vor allem Sterilisation, Verhütung und Schwangerschaftsabbruch diskutiert. Obwohl der Schwangerschaftsabbruch verboten war, empfahlen einige Eugeniker eine Zwangsabtreibung, wenn mit körperlichen oder moralisch ‚minderwertigen’ Nachkommen zu rechnen war.
Doch auch dieser Extremstandpunkt führte noch nicht zu einer Lockerung des Abbruchverbotes. Sogar die Eugeniker waren sich einig, Abbrüche nicht generell freizugeben. So scheiterte 1920 in Deutschland ein Antrag der SPD, einen Abort in den ersten drei Monaten straffrei zu stellen. Erst sechs Jahre später milderte man die Einschätzung des Abbruches vom Verbrechen zum Vergehen. Doch weiterhin sollte es schwangeren Frauen nicht gestattet sein, selbst über einen Abbruch zu entscheiden.
Während in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen die Anwendung von Verhütungsmitteln (aus wirtschaftlichen Gründen) weit verbreitet war, wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten der Zugang zu Verhütungsmitteln (aus politischen Gründen) erschwert. Eugenisch unerwünschte Schwangerschaften versuchte man mittels Eheverbot und Sterilisation zu verhindern. 1934 wurde in Deutschland schließlich das ‚Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses’ verabschiedet, war jedoch keine ‚neue Erfindung’ sondern beruhte auf einem Entwurf eines Sterilisationsgesetzes der Weimarer Republik. Die Entscheidung über Abbruch und Sterilisation oblag (ausschließlich) der zuständigen Landesbehörde. Ein Abbruch aus eugenischen Gründen durfte bis zum Ablauf des sechsten Schwangerschaftsmonats durchgeführt werden. Doch da viele Ärzte unerfahren waren, starben zahlreiche Frauen an den Folgen des Eingriffs. Jeder andere Schwangerschaftsabbruch wurde verboten, ab 1943 sogar unter Todesstrafe gestellt. (Und auch bis zum Kriegende exekutiert. So wurde die letzte ‚Engelmacherin’ in Wien im Frühjahr 1945 hingerichtet.)
Erstmals betrachtet eine Publikation die spezifischen und breiten Grundlagen der österreichischen post-habsburgischen Eugenik-Bewegung, verweist auf Kontinuitäten und Brüche in der Auseinandersetzung und zeigt, dass die Wissensgesellschaft der österreichischen Zwischenkriegszeit sich mit ihren eugenischen Bestrebungen nicht nur wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit fühlte. Sie zog daraus auch eine moralisch empfundene Befriedigung, mit ihren Ressourcen zum Aufbau des sozialen und gesundheitlichen Wohllebens des Staates beizutragen. Dieses Buch ist ein grundlegender Versuch, die mentale und materiale Grundstruktur der Eugenik in Österreich nachzuzeichnen.
Gerhard Baader, Veronika Hofer, Thomas Mayer: Eugenik in Österreich – Biopolitische Strukturen von 1900 bis 1945, Wien 2007, Czernin Verlag, ISBN 978-3-7076-0215-X
Claudia Grammer, Susanne Krejsa