Herr S.
Im Jahr 1969 - mit 26 Jahren - erfuhr Herr S., dass eine Freundin von ihm vermutlich schwanger ist. Es stellte sich zwar schnell als unzutreffend heraus, doch war es für Herrn S. so ein Schock, dass er ab diesem Moment impotent war. Denn er war fest entschlossen, keine eigenen Kinder zu haben.
Zwei oder drei Jahre zuvor hatte er einen Schweizer kennen gelernt, der vasektomiert war, und ihm ganz genau über den Eingriff erzählen konnte. So erfuhr er auch, dass die Vasektomie keine negativen Auswirkungen auf das Sexualleben hat. Allerdings musste man in der Schweiz vor einer Vasektomie bereits Kinder haben und die Ehefrau musste einverstanden sein.
Herr S, suchte die Familienberatungsstelle auf, die gerade im AKH im Entstehen war. Er bekam allerdings keine Auskünfte über die Vasektomie, weil das zu dieser Zeit noch verboten war. Aber man riet ihm, sich an die Redaktion von Illustrierten zu wenden. Seine Anfragen dort erbrachten etwa 50 Adressen von Ärzten und Kliniken in aller Welt, denen Herr S. schrieb. Im August 1969 kam eine einzige Antwort: Eine Zusage aus London. Vom Chirurgen J.E.A. Wickham.
Herr S. rief ihn sofort an, um nachzufragen und einen Termin zu vereinbaren, holte sich Geld von der Bank und setzte sich in den Zug.
Die Fahrt dauerte 24 Stunden. Herr S. kam 2 Tage vor dem geplanten Eingriff in London an, suchte sich ein billiges Quartier und meldete sich in der London Clinic (20, Devonshire Place, London W.1.) an. Anschließend machte er Sightseeing.
Am 27. August 1969 checkte Herr S. in der Klinik ein, wurde untersucht und vorbereitet, anschließend bekam er Ausgang bis Mitternacht. Am 28. August Beruhigungsspritze, Vollnarkose, Operation. Dabei wurden die Samenleiter durchtrennt, die Stümpfe übereinander geschoben und vernäht. Am nächsten Tag noch ein riesiges englisches Frühstück und Rückkehr in seine Unterkunft.
Obwohl er von der Operation noch etwas angegriffen war, wollte er wissen, wie Sex nun sein würde, und ging in ein Puff in Soho. Alles bestens.
Die Operation kostete ca. ATS 9.060,- oder mehr: Klinikkosten ATS 2.752 plus Chirurg ATS 3.307 plus Aufenthaltskosten London ATS 1.000 plus Bahnfahrt ATS 2.000. Das entsprach etwa 3,5 Monatslöhnen: Herr S. verdiente zu dieser Zeit brutto ATS 4.200 = netto ATS 3.189.
Der Arzt hatte ihn informiert, dass er die nächsten 3 Monate noch befruchtungsfähige Spermien in seinem Ejakulat haben würde.
Zurück in Wien mussten die Fäden entfernt werden. Herr S. ging zu einem Urologen, der sehr ungehalten war, weil er diesen Eingriff nicht abrechnen konnte (zog ihm aber dann trotzdem die Fäden).
Im September 1969 trat Herr S. ein Auslandsstipendium in Schweden an. Dort ließ er sich von einem Urologen untersuchen, um sicher zu sein, keine Spermien mehr zu produzieren. Auch dieser Arzt war ein großer Gegner der Vasektomie.
Herr S. blieb 4 Jahre in Schweden und anschließend 2 Jahre in England.
Wenn er eine neue Freundin hatte, verschwieg er die Vasektomie so lange wie möglich, weil sich dann meist schnell herausstellte, dass kaum eine Frau bei ihm bleiben wollte.
Mit seiner jetzigen Partnerin ist er seit 20 Jahren zusammen. Sie hatte zum Zeitpunkt des
Kennenlernens keinen Kinderwunsch mehr, verlangte von ihm aber eine Spermauntersuchung, damit sie sicher war nicht mehr verhüten zu müssen.
Herr S. hat seine Vasektomie niemals bereut. Vor genau 40 Jahren wurde sie durchgeführt. Auch heute im 67. Lebensjahr kann er Sex noch immer voll genießen. Was vor 20 Jahren die Quantität war, ist heute die Qualität…
Es gab lediglich ein kleines gesundheitliches Problem: Durch das ‚Übereinandernähen’ der Samenleiter-Stümpfe entstanden Verdickungen/Knoten. An dieser Stelle gab es im linken Hoden manchmal Schmerzen bzw. eine Überempfindlichkeit. Als ein Arzt ein Schmerzmittel in diesen Knoten injizierte, sind diese Beschwerden lange Zeit verschwunden gewesen und seither nur noch selten und leicht aufgetreten.
Da ihm selbst die Vasektomie eine so große Befreiung verschaffte, gibt Herr S. gerne darüber Auskunft. Männer wollen von ihm vor allem wissen, wie die Orgasmusfähigkeit nach einer Vasektomie ist. Herr S. hat auch Kontakt zu Journalisten aufgenommen.
Weder als Kind noch als Jugendlicher wurde Herr S. aufgeklärt. Sein Vater war früh gestorben und seine Mutter wollte die Aufgabe der Aufklärung gerne an den Hausarzt abschieben, doch verwies dieser zurück an die Mutter.
Bilder aus dem Fotoalbum von Herr S.:
September 1969: In Schweden in einer weiterbildenden Schule.
August 1969 : Überfahrt nach Dover. Ziel ist London.