Das künftige Kind: Was es ist und was es nicht ist.
Ob / wann ein Schwangerschaftsabbruch zu rechtfertigen ist, wurde im Lauf der Geschichte nach unterschiedlichen Anschauungen beurteilt: Im Krieg anders als im Frieden, im Wohlstand anders als in der Not, außerdem abhängig vom herrschenden Regime und der Religion.
Diskutiert wurde beispielsweise anhand folgender Überlegungen:
Wie lange gilt die Schwangerschaft als Teil der künftigen Mutter und ab wann gilt der Fötus als eigener Organismus?
Wer hat ein Recht auf die Entscheidung? Beispielsweise Staat (Steuerzahler, Soldaten, nationalistische Bestrebungen), Kirche (Seelen, Einnahmen), Medizinbetrieb (‚eigenmächtige Entscheidungen’ versus ‚Anordnung des Arztes’), patriarchales System (Frau als Eigentum des Vaters/Mannes/Sohnes).
Wessen Leben gilt als schützenswerter, das der Frau oder das des Fötus?
Für alle aufgezählten Aspekte lassen sich Beispiele in der Rechtssprechung oder der öffentlichen Diskussion nachweisen.
Seit die Abläufe von Befruchtung und Einnistung der Eizelle medizinisch geklärt sind, entzündet sich in Mitteleuropa und Amerika die Diskussion an der Frage, wann Leben beginnt. Dabei wird ‚Leben’ mit ‚Lebensfähigkeit’ vermischt, bzw. verwechselt. So wird eine befruchtete Eizelle und ihr Potential mit einem bereits selbstständig lebensfähigen Kind gleichgesetzt.
Tatsächlich ist der Fötus aber erst etwa ab der 32. Schwangerschaftswoche außerhalb des mütterlichen Organismus selbstständig lebensfähig. In beobachteten Ausnahmefällen musste der mütterliche Organismus durch ein großes Hightech-Aufgebot simuliert werden. Bis zur Selbstständigkeit ist ein Fötus ein integraler Teil des Körpers der Frau und in allen Belangen vollkommen von diesem abhängig.
In Streitgesprächen werden frühe Entwicklungsstadien oft mit fertigen Organsystemen gleichgesetzt: Zum Beispiel der Herzschlag eines Fötus: ab dem 28. Tag nach der Einnistung pulsieren Muskelzellen in einem Blutgefäß, aus denen sich im Lauf der Entwicklung ein Herz bilden wird. Aber bis dahin ist es noch lang: Anfangs verursacht das Pulsieren der Zellen nicht mehr als ein Hin- und Herpendeln des Blutes. Die Muskulatur und die Form des Herzens müssen erst gebildet werden, die Herzhöhle muss sich von der gemeinsamen Leibeshöhle und den beiden Lungenanlagen abtrennen und schließlich wird das Längenwachstum des Föten die Herzanlage von der Halsregion in den späteren Brustraum verlagern, Vorhöfe, Herzkammern und Herzklappen werden entstehen. In niedlichen Darstellungen wie z.B. ‚So wächst Ihr Baby heran’ ist stattdessen zu lesen: „Gegen Ende der 3. Woche ist das Herz ausgebildet und beginnt zu schlagen.“
Bei dieser romantisierenden Verkürzung wird ignoriert, dass ‚Fruchtsack’, ‚Embryo’ und ‚Fötus’ (erst) frühe Entwicklungsstadien eines Kindes darstellen, aber selbst noch kein Kind sind. Mit einem Vergleich wird das sichtbar: Blumensamen enthalten das Potential zum schönblühenden Blumenstrauß. Wenn alles gut geht, werden sie sich dahin entwickeln. Es wäre aber unzutreffend, bei einem Säckchen Blumensamen von einem Blumenstrauß zu sprechen; ebenso unzutreffend ist es, den Fötus mit einem Kind gleichzusetzen.
Ein ‚Kind’ ist unabhängig vom mütterlichen Organismus lebensfähig. Beim Schwangerschaftsabbruch wird die Schwangerschaft hingegen zu einem Zeitpunkt abgebrochen, zu dem zwar lebende Zellen existieren, aus denen bei ungestörter Entwicklung möglicherweise ein lebensfähiges Kind entstehen könnte. Um ein ‚Kind’ handelt es sich zu diesem Zeitpunkt allerdings definitiv noch nicht.
Auch das menschliche Entwicklungsstadium ‚Kind’ birgt künftiges Potential in sich: Es kann sich möglicherweise zu einem ‚Erwachsenen’ oder ‚Greis’ entwickeln – ist aber jetzt noch keiner.