Kanada zeigt es vor: Weniger Abbrüche, geringere Müttersterblichkeit
Im Jänner 1988 wurde in Kanada das bis dahin geltende Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch für ungültig erklärt und ersatzlos gestrichen. Seither ist Abtreibung in Kanada vollständig entkriminalisiert – und wird genau wie jeder andere ärztliche Eingriff behandelt.
Dadurch zeigte sich: Gesetze und Strafparagraphen zur Regelung des Schwangerschaftsabbruches sind überflüssig und haben negative Auswirkungen auf die Gesundheit von Frauen. Interessant ist der Vergleich zum Nachbarland USA mit seinen teilweise sehr restriktiven gesetzlichen Regelungen, die oft einem Abbruchverbot gleich kommen: Kanada hat ein Drittel weniger Abbrüche (umgerechnet auf die Bevölkerung), und mehr Frauen als in den USA kommen bereits in den ersten Schwangerschaftswochen zum Abbruch. Ein weiteres positives Resultat: Kanada hat die geringste Zahl an Komplikationen beim Eingriff und die geringste Müttersterblichkeit der ganzen Welt.
Erkämpft hat diesen Sieg des gesunden Menschenverstandes der Praktische Arzt Dr. Henry Morgentaler (1923 in Polen-2013). Um Frauen die umständlichen und demütigenden gesetzlichen Hürden, Hindernisse und Stolpersteine zu einem Abbruch zu ersparen, eröffnete er 1969 seine erste Klinik in Montreal, wo er Abbrüche offiziell durchführte, obwohl dies damals noch verboten war. Daraufhin wurde er wegen illegaler Abtreibung angeklagt. Nachdem der Oberste Gerichtshof Kanadas 1975 seinen Einspruch abgelehnt hatte, verbüsste er 10 Monate im Gefängnis.
Doch 1983 eröffnete er zwei weitere Kliniken in anderen Provinzen. Wieder folgten Strafklagen und Gerichtsverfahren, doch führte sein Kampf schliesslich 1988 zur Abschaffung der Abtreibungsparagraphen durch den Obersten Gerichtshof.
Abtreibungsgesetze verstossen gegen das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit
In seiner Begründung sagte das Gericht, Abtreibungsgesetze würden gegen das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der von Frauen verstossen: Es bedeute eine tiefgreifende Verletzung ihrer körperlichen Integrität, eine Frau unter Strafandrohung zum Austragen einer ungewollten Schwangerschaft zu zwingen, oder ihr nur nach Kriterien einen Abbruch zu gestatten, die mit ihren eigenen Prioritäten und Lebenszielen nichts zu tun hätten.
Durch die Abschaffung des Abtreibungsgesetzes ist dieser jetzt wie jeder andere medizinische Eingriff geregelt: Ärztinnen und Ärzte sind gesetzlich verpflichtet, die Patientin umfassend zu informieren und sicherzustellen, dass sie ihre Entscheidung selbstverantwortlich und in voller Kenntnis aller Umstände trifft. Bei Bedarf wird für die Entscheidungsfindung professionelle Beratung angeboten.
Laut aktueller Studie aus der renommierten Ärztezeitschrift 'Lancet'* hat die gesetzliche Regelung des Abbruchs keine Auswirkungen auf die Häufigkeit. Wie das Positivbeispiel Holland zeigt, lassen sich die Zahlen stattdessen durch intensive Informationen über Verhütungsmittel und einfachen Zugang dazu günstig beeinflussen. (In Holland geborene Frauen haben die weltweit niedrigste Rate an Abbrüchen, weil sie am besten verhüten.)
Im Jahr 2005 erhielt Dr. Morgentaler ein Ehrendoktorat der University of Western Ontario "für seinen Kampf um Menschenrechte, speziell das Recht von Frauen, über ihre Fortpflanzung selbst zu entscheiden". Zu seinem 80. Geburtstag wurde Morgentaler der höchste kanadischen Orde, der 'Order of Canada', verliehen.
*Sedgh, Gilda, et. al., Induced abortion: estimated rates and trends worldwide. The Lancet. Volume 370, Issue 9595, Oct 13-19, 2007. pp 1338-1345