Berechnung des Zeugungsdatums

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Viele ungewollt kinderlose Paare suchen den berühmten Professor in Prag auf, darunter auch viele NS­Funktionäre aus Berlin, die einen direkten Draht zur Füh­rung in Prag haben.672 Oft geht es nur darum, den richtigen Tag für die Befruch­tung herauszufinden. In anderen Fällen führen chirurgische Eingriffe zum Erfolg. Wo unlösbare anatomische Probleme bestehen, forscht und sucht Knaus nach neuen Wegen, sichtet das Schrifttum, wertet die Erfahrungen der Kollegen aus und versucht, die Ursachen des Scheiterns zu ergründen. 1944 beschäftigt sich Knaus mit der Frage, ob die operative Verlagerung des Eierstockes auf die Gebärmutter Erfolg versprechend ist, wenn die Eileiter krankheitsbedingt verloren sind. Dazu analysiert er die nach unterschiedlichen Methoden durchgeführten Operationen der letzten fünfzig Jahre. Das Ergebnis der insgesamt 200 Eingriffe ist traurig: nicht einmal zehn Geburten. ›Lasst es sein, denn es führt zu nichts!‹ – so lautet seine Schlussfolgerung. Aber er wäre nicht Knaus, wenn er sich mit der reinen Feststel­lung des Misserfolges zufriedengeben würde. Akribisch geht er den nötigen Rah­menbedingungen der befruchteten Eizelle nach und kann verständlich machen, warum es nicht funktioniert hat.

Knaus’ Lehre von der befristeten Befruchtbarkeit der weiblichen Eizelle ist 1944 noch immer nicht allgemein akzeptiert. Zu jener Zeit versucht Hans Hosemann, ihre Zuverlässigkeit mathematisch zu überprüfen. Hosemann ist zwar Gynäko­loge, aber gleichzeitig auch ›Mitarbeiter des Maschinellen Berichtswesens‹. Er entwickelt Lochkartensysteme für statistische Untersuchungen auf gynäkologisch­ geburtshilflichem Gebiet. Er nimmt sich Knaus’ Lehre vor und untersucht, »mit welcher Sicherheit […] sich der nächste Ovulationstermin einer Frau vorausbe­ stimmen« lässt.674 Da die Berechnung des Ovulationstermines nach Knaus und Ogino eine Voraussage darstellt, »kann sie nicht mit 100%iger Genauigkeit den wirklichen Ovulationstermin treffen. […] Eine absolute Zuverlässigkeit in der Be­rechnung fertiler und steriler Tage besteht […] nicht. Dazu kommt die stets vor­handene Möglichkeit, daß ein abnormes Intervall auftritt, und erhöht die Fehler­ quote. Es lässt sich wahrscheinlich ein großer Teil der gegen Knaus veröffentlichten Einzelfälle […] auf diese Weise erklären.«

Knaus nimmt den Respekt und die Unterstützung durch Hosemann nicht an (»Knaus hat dies klar erkannt …«)676, sondern liest nur die Kritik heraus und schießt wie gewohnt scharf dagegen: Hosemanns Arbeit sei nur am Schreibtisch entstanden und würde weder die Zyklusforschung fördern noch einen positiven Beitrag zur Frage des Ovulationstermines liefern.

Eine Stimme aus der Praxis kommt hingegen von Franz Hubert Bardenheuer, Chefarzt der gynäkologisch­geburtshilflichen Abteilung des Düsseldorfer St.­ Josefs­Krankenhauses: Er bespricht mit seinen Patientinnen ausführlich, wie der Menstruationskalender für den gewünschten Kindersegen zu nützen sei: »Der Mann soll aber vom Konzeptionsoptimum keine Kenntnis haben; denn wenn er Wind davon bekommt, wird er erfahrungsgemäß meist vergrämt und hat ›absolut keine Lust‹. Er lässt sich nicht kommandieren: weibliche List wird voraussehend die Gelegenheit schaffen müssen!«

Eine Gefahr des Menstruationskalenders sieht Bardenheuer, »wenn nach der Geburt des Kindes unsere Patientinnen in dem Bestreben, die Kinderzahl klein zu halten, unerwünschte Rückschlüsse ziehen und nunmehr die Zeiten der peri­odischen Unfruchtbarkeit ausnützen würden«. Er kann allerdings beruhigen: »Bis das Kind geboren ist, gelingt der Durchschnittsfrau eine Rückerinnerung an die zyklischen Vorgänge mit dem Konzeptionsoptimum nicht mehr. Sie wissen nur noch, daß vor Eintritt der Gravidität subtrahiert und addiert werden mußte, doch nicht von was und wie!«

Endlich, endlich vermelden die Prager Hochschulblätter im Juli 1944, dass Knaus zum ordentlichen Professor im Reichsdienst ernannt wurde und die bereits inne­ gehabte Planstelle der medizinischen Fakultät erhält.

Aber nun lockt Berlin: Walter Stoeckel soll als Chef der Frauenklinik an der Ber­liner Charité mit 73 Jahren endlich wirklich abgelöst werden. Kandidatennamen werden erwogen und Meinungen von Kollegen eingeholt.