Im Krieg mit früheren Schülern

Knaus’ früherer Schüler Kurt Podleschka begann im Jahr 1949 einen Disput mit Knaus über die Frage, »ob und inwieweit die Lehre von der periodischen Frucht­barkeit und Unfruchtbarkeit des Weibes (Knaus) für die Erstellung eines Gutach­ tens in Paternitätsprozessen herangezogen werden darf«. Generell gar nicht, meint Podleschka, da die von Knaus geforderten kalendermäßigen Menstruations­aufzeichnungen praktisch nie vorliegen und, auch wenn sie das täten, kann sich der Zyklus durch ein psychisches Trauma plötzlich ändern. Außerehelicher Geschlechtsverkehr gilt in diesem Kontext als ›psychisches Trauma‹.

Neben dem Fehlen von Aufzeichnungen und der Veränderlichkeit des Zyklus führt Podleschka als drittes Argument gegen die (alleinige) Verwendung der Knaus’schen Lehre in Vaterschaftsprozessen an, »daß sie nicht allgemein aner­kanntes Gemeingut unseres Faches geworden ist«. Im Gegenteil, es handle sich um einen Fragenkomplex, »der auch heute noch sehr umstritten ist, wobei namhafte Vertreter der Frauenheilkunde entgegengesetzte Standpunkte einnehmen«.

Knaus ist nicht nur sachlich, sondern auch menschlich gekränkt. Für seine Ant­ wort kommt ihm die große Bühne seines neuen Buches gerade recht. Während der Jahre 1934 bis 1939, als Podleschka sein Assistent war, habe er 59 wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema verfasst. Warum habe Podleschka damals nichts ge­ sagt? »Da aber Podleschka diese ablehnende Kritik an meiner Lehre erst jetzt übt, wozu er als sachlich denkender und begeisterter Mitarbeiter seinem Chef gegen­ über schon seinerzeit verpflichtet gewesen wäre und wozu sich ihm in jenen Jahren unzählige Gelegenheiten geboten hätten, kann ich heute nichts anderes mehr fest­ stellen, als dass Podleschkas Einstellung zu meiner Lehre entweder früher objektiv war und jetzt unsachlich geworden ist oder umgekehrt. Wenn auch die Beziehung des Schülers zu seinem Lehrer durch den Drang des Jüngeren zur Selbständigkeit schon vor zehn Jahren im Sinne einer ganz natürlichen Entwicklung gelöst wurde, so ist dennoch dieses Verhältnis in Bezug auf meine Lehre unverändert bestehen geblieben.« In seinem Zorn und seiner Enttäuschung legt er noch einmal nach:
»Ich werde ihm zeigen, wer auf dem Gebiete der Physiologie der Zeugung nach wie vor der Meister und wer noch immer der Schüler ist.«

Podleschka und mit ihm alle Kritiker seiner Lehre haben unrecht, meint Knaus, denn selbst wenn der Gutachter die geforderten kalendermäßigen Aufzeichnungen über die Menstruationen nicht zur Verfügung hat, »so dienen [ihm] ja noch die Angaben über den Tag der Geburt und jene über die Reifezeichen der Frucht in der Bildung seines Urteiles über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Vaterschaft eines Beklagten«.801 Schließlich spottet Knaus noch über Podleschkas Behauptung, der außerehe­liche Geschlechtsverkehr sei mit einem psychischen Trauma gleichzusetzen und könne einen außertourlichen Eisprung provozieren. Das Thema der provozierten Ovulation hat er bereits früher mit Hermann Stieve ausgefochten. »Mit dem Er­ scheinen meines Buches werden diese Ungläubigen ein solches Tatsachenmaterial vorgesetzt bekommen, dass ein weiteres Verneinen meiner Lehrsätze einem unent­schuldbaren Mangel an Wissen gleichkommen wird.«

Das alles lässt Podleschka nicht auf sich sitzen, er antwortet wieder im entspre­chenden Fachorgan, der Zeitschrift für Geburtshilfe und Frauenheilkunde. Zwar begrüßt er Kritik an wissenschaftlichen Veröffentlichungen »und ohne Polemik würde unser Schrifttum an Würze verlieren«, doch habe Knaus in seiner Erwide­rung Grenzen überschritten.

Warum er Knaus nicht schon während seiner Assistentenzeit mit seiner Kri­tik konfrontiert habe, sei leicht zu erklären: Damals habe er keine entsprechen­ den Gutachten zu bearbeiten gehabt und sei daher nicht zu den nun geäußerten Schlussfolgerungen gekommen.

Die Berücksichtigung von Geburtstermin und Reifezeichen sei für ein Gutach­ ten so selbstverständlich und schon vor Knaus’ Zeiten üblich gewesen, dass er da­ rauf gar nicht habe hinweisen müssen. Doch änderten diese Fakten nichts daran, dass man ohne kalendermäßige Aufzeichnungen der Regelblutung den Tag des Ei­sprunges nicht bestimmen und daher nicht entscheiden könne, welcher der potenziellen Erzeuger denn nun der wahre Kindsvater sei.

Damit ist der Disput aber noch nicht beendet; Knaus erhält das Schlusswort. In einem Brief an Freund Gerster schreibt er quasi als Jäger: »Mein Schüler Pod­leschka hat sich zu sehr in meinem Buche angeschossen gefühlt […]. Nun habe ich ihm noch einen Fangschuss gegeben […]. Hoffentlich findest Du an meiner Waffenführung Gefallen.«