Knaus’ Bewerbung für Prag

Seiten 61-63

Nach der Absage der Wiener Frauenklinik 1931 muss Hermann Knaus nicht lange auf die nächste Gelegenheit warten, sich für eine interessante Position zu bewerben: Wilhelm Weibel, seit 1928 Chef der Prager gynäkologisch­geburts­hilflichen Universitätsklinik, wird im Jahr 1932 als Chef nach Wien berufen. Der Wunschkandidat des Professorenkollegiums Kurt Warnekros kann die Berufung nach Prag aus Krankheitsgründen nicht annehmen. So muss sich die medizinische Fakultät neuerlich auf die Suche machen. Dazu werden »alle in Betracht kommen­ den Anwärter, sowohl des In­ als auch des Auslandes genau auf ihre klinischen, wissenschaftlichen und didaktischen Fähigkeiten« geprüft. Einer davon ist Her­ mann Knaus.

Was für ein Ort ist das, an dem Knaus seine nächsten Jahre verbringen will?
»Besonders an der medizinischen Fakultät wirkten viele Professoren, die jeder anderen großen deutschen Universität zur Zierde gereicht hätten«, schreibt Max Watzka, selbst Professor für Anatomie. Aber Hermann Knaus wird sich nicht nur die medizinische Reputation seiner möglichen neuen Wirkungsstätteange­ schaut und mit seiner Grazer Heimatuniversität verglichen, sondern auch die poli­ tische Situation untersucht haben. Und die ist in Prag noch unruhiger als in Graz, wo die nationalsozialistischen Studenten bereits 1930 die Hochschülerschaftswah­len gewonnen haben. Bei der Zerschlagung der österreichisch­ungarischen Monarchie im Jahr 1918 wurde die selbstständige Tschechoslowakische Republik (ČSR) als Nationalstaat der Tschechen und Slowaken gegründet. Die mehr als drei Millionen Deutschböhmen sind in diesem jungen Staat wenig willkommen, ob­ wohl sie beinahe ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachen. Sie werden als Sudetendeutsche bezeichnet. Unter den rund 800 000 Einwohnerinnen und Ein­wohnern der Hauptstadt Prag sind rund 30 000 Deutsche, darunter viele deutsch­ sprachige Juden. Konflikte zwischen den Volksgruppen sind häufig, doch bleiben die Auseinandersetzungen bis Ende der 1930er­Jahre im demokratischen Rahmen. Die Deutschen behaupten ihre kulturelle Sonderstellung mit dem deutschen Teil der Prager Universität und der technischen Hochschule, dem Deutschen Theater, dem Deutschen Haus, der Urania und den deutschen Tageszeitungen Prager Tagblatt und Bohemia.264 Im Oktober 1933 entsteht die Sudetendeutsche Heimatfront, die Auffangbecken für alle Deutschen in der Tschechoslowakischen Republik sein will und sich einer demokratischen, christlichen und deutschen Weltanschauung auf dem Boden des tschechoslowakischen Staates verpflichtet fühlt.265 Dem Natio­nalsozialismus steht die neue Partei noch fern.

Die Trennung der Universität in die tschechische Karls -­Universität und die deutsche Karl­-Ferdinands­-Universität sollte die Spannungen zwischen Studieren­ den und Lehrenden der beiden Volksgruppen beenden, was aber nicht gelingt. Seit Langem schwelen Konflikte, einer der dramatischsten hat den Besitz der Univer­sitätsinsignien zum Thema, nämlich die mittelalterliche Gründungsurkunde, die Universitätszepter sowie die Amtskette des Rektors.

Knaus hat mit seiner Bewerbung für die Prager Stelle gute Chancen; mit seinen vierzig Jahren ist er zwar noch etwas jung für die Führung der großen Doppel­klinik, doch sind die anderen Kandidaten entweder deutlich älter und damit fast am Ende ihrer beruflichen Lauf bahn angekommen oder sie haben zu wenig wis­ senschaftliche und operative Qualitäten aufzuweisen. Im Jänner 1933 sprechen sich die 21 Mitglieder des Professorenkollegiums der medizinischen Fakultät in einer geheimen namentlichen Abstimmung einstimmig für Knaus aus. Sie begründen ihren Vorschlag an das zuständige Ministerium folgendermaßen: »Wenn wir alles das, was die Kommissionsmitglieder an Nachrichten über Knaus erhalten haben, zusammennehmen, ergibt sich die übereinstimmende Anerkennung seines regen wissenschaftlichen und seriösen Strebens, seiner Tatkraft und seiner erfolgreichen experimentellen Forschungen, die reichlich bewiesen haben, daß er es versteht, sich Problemen zu stellen und ihre Lösung in geschickter Weise anzubahnen und durchzuführen. Dazu kommt noch, daß Knaus eine vorzügliche Vorbildung in pathologischer Anatomie und insbesondere in der Chirurgie erworben hat, daß er, was für den Kliniker nur von Vorteil sein kann, sprachenkundig ist und überhaupt durch längeren Aufenthalt im Auslande einen weiteren Blick erworben hat, als es bei jenen Ärzten der Fall zu sein pflegt, die während ihrer ganzen Ausbildungszeit mehr oder weniger an der Scholle kleben.«

Um das Ministerium zu beruhigen, wird noch angefügt, dass Knaus zugesagt hat, keine besonderen materiellen Forderungen zu stellen. Es soll lediglich seine außerordentliche Professur in eine ordentliche umgewandelt werden, »da das Fach der Gynäkologie und Geburtshilfe eines der wichtigsten Gebiete des medizinischen Studiums ist, [sodass] der Vorstand der Lehrkanzel Mitglied des Kollegiums sein [muss]«. Das Thema der Professur wird allerdings noch lange nicht gelöst sein.

Offenbar um die Verantwortlichen unter Druck zu setzen, lässt man die Neuig­keit bereits durchsickern: Das Neue Wiener Journal sowie die Linzer Tagespost mel­den im Juli 1933, »die Berufung des Grazer Gynäkologen Professor Dr. H. Knaus an die Frauenklinik der Deutschen Universität in Prag […] [sei] in Aussicht genommen«.

Monatelang schweigt das Ministerium für Schulwesen und Volkskultur, schließ­lich schmettert es den Vorschlag der Fakultät mit dem Hinweis ab, »dass die Be­rufung eines Ausländers an die geburtshilflich­gynäkologische Klinik an der dor­tigen Fakultät keine Hoffnung auf Erfolg hat«. Die Professoren sollen sich nach einem heimischen Kandidaten umschauen.

Überraschenderweise beharren sie auf ihrem Vorschlag und schicken eine Dele­gation in die Behörde, die bei den Ressortvorständen und sogar beim Minister vorspricht. Sie sind erfolgreich, denn »die Regierung [ist bereit,] den Schwierig­keiten Rechnung zu tragen«, einen Ausländer zu berufen. So wiederholt der Besetzungsvorschlag vom November 1933 den Wunsch nach der Berufung von Knaus. Nochmals werden seine Meriten aufgezählt: Er habe internationale Reputa­tion, sei ein ausgezeichneter Operateur, hervorragender Lehrer und vorzüglicher Redner und werde von den Studenten in Graz sehr geschätzt. Darüber hinaus sei er ein ausgezeichneter Organisator und sprachbegabt, sodass er sicher auch bald Tschechisch sprechen werde. »Seine jugendliche, noch unverbrauchte Kraft voll wissenschaftlicher Originalität, sein lebendiges Streben und seine Liebe zum Fache und der damit verbundenen Arbeit machen ihn wie kaum einen Anderen beson­ders geeignet, unter den jetzigen schwierigen Verhältnissen alle Mühen der vielen Agenden dieser Doppelklinik zu übernehmen und zu überwinden.«

Zwar stehen die Professoren geschlossen hinter dem Besetzungsvorschlag, doch gibt es auch Quertreiber. So »wurden in jüngster Zeit in Prag Gerüchte aus­ gesprengt, dass Professor H. Knaus ein politischer Agitator sei […]«. Doch seien diese Gerüchte unrichtig und beruhten auf einer Verwechslung. Knaus kenne »keine anderen Interessen […] als die seiner klinischen und wissenschaftlichen Arbeiten sowie der sozial so bedeutungsvollen Lehren, die ihm ihre wissenschaft­lichen Grundlagen verdanken«.