Knaus ist auch ein Volksaufklärer

Seiten 72-73

Knaus war nicht auf der Suche nach den fruchtbaren und unfruchtbaren Tagen im Zyklus der Frau gewesen; genauso wenig wie er ursprünglich die Entwicklung einer Verhütungsmethode geplant hatte. Die Geschichte mag ein wenig an den Fla­schengeist aus Aladin und die Wunderlampe erinnern: Seine Entdeckung und die Reaktionen darauf werden Knaus’ gesamtes künftiges Leben prägen, seine beruf­ lichen Chancen und Grenzen beeinflussen, seine Sicht der Dinge wandeln, seine Zufriedenheiten und Unzufriedenheiten steuern, wohl sogar seinen Charakter be­einflussen.

Fünf Jahre nachdem Hermann Knaus seine Erkenntnisse zum ersten Mal ver­öffentlicht hat, sieht er im Jahr 1933 den Augenblick gekommen, »die Entdeckung der zeitlich beschränkten Konzeptionsfähigkeit des Weibes für die Bekämpfung der bisher üblichen, widernatürlichen und gesundheitsschädlichen Methoden der Schwangerschaftsverhütung praktisch auszunützen und damit eine neue Epoche der Geburtenregelung einzuleiten«.

Mit seinem Entwurf für die Geburtenregelung der Zukunft wagt sich der Medi­ ziner und Naturwissenschafter Knaus zum ersten Mal auf die bevölkerungs­politische Bühne. Er hat ein großes Ziel vor Augen: »Mit diesem Erziehungs­- und Aufklärungswerke müsste die neue Epoche der natürlichen Geburtenregelung eingeleitet werden, die uns Menschen von allen bisher üblichen, gesundheitsschä­digenden Methoden der Schwangerschaftsverhütung zu erlösen und unsagbar vielem Elend erfolgreich zu begegnen verspricht.« Knaus versteht unter dem Begriff ›natürlich‹ etwas anderes als wir heute: Für ihn ist ›natürlich‹ der Gegensatz zu ›künstlich‹. Seine Methode kommt ohne ›künstliche‹ Substanzen oder Hilfsmit­tel aus, denn sie nützt die Gesetzmäßigkeit des natürlichen Ablaufes des Monats­zyklus. Für uns ist hingegen jegliche Geburtenregelung, also die Einschränkung von Sexualität und die Reduktion der Anzahl von Geburten, keinesfalls ›natürlich‹. Knaus selbst erwähnt vergangene Zeiten, in denen »die Frauen, so lange sie emp­fängnisfähig blieben, in jedem Jahr schwanger wurden und durchschnittlich zehn bis zwanzig Kinder zur Welt brachten«. Jede Einschränkung ist demnach men­schengewollt: ›unnatürlich‹.

Knaus sieht Geburtenkontrolle als staatliche Angelegenheit: »Es wäre […] eine der schönsten Aufgaben des Staates, eine großzügige Organisation gegen die Aus­ wüchse der widernatürlichen Konzeptionsverhütung und Fruchtabtreibung zu treffen und ärztlich geleitete Beratungsstellen zu schaffen, wo den Mädchen und Frauen die Auf klärungen über die fortpflanzungs­physiologischen Besonderhei­ ten ihres eigenen Körpers gegeben werden.«

Wie soll das gehen? Dazu »müssen zunächst alle Mädchen und Frauen zwecks genauer Bestimmung dieser Daten über die Notwendigkeit regelmäßiger Auf­schreibung der Menstruationstermine unterrichtet und zur sorgfältigen Führung eines Menstruationskalenders erzogen werden«. Dabei sollen sie »nicht nur den Eintritt der Regelblutung schriftlich fest[…]halten, sondern auch bei einer Verfrü­hung oder Verspätung derselben die Art und den Zeitpunkt der vermeintlichen Ursache nieder[…]schreiben«.

Wer sich am Terminus »erzogen« stößt, wird in Knaus’ nächsten Sätzen noch mehr paternalistische Diktion finden: »Das Erziehungswerk wird von Erfolg ge­krönt sein, wenn wir die Frauen über den Zweck solcher Aufschreibungen auf klä­ren und sie auf die vorteilhaften Auswirkungen verweisen, die sich daraus für sie im künftigen Geschlechtsleben ergeben.«

Und es kommt gleich noch schlimmer: »Obwohl die Errechnung [der fruchtbaren und unfruchtbaren Tage] aus einem vorliegenden Menstruationskalender durch­ aus leicht ist, so ist sie, wie die praktischen Erfahrungen der letzten Jahre gelehrt haben, dennoch zu schwer, um den Frauen selbst überlassen zu bleiben.« Statt­ dessen »werden wir [Ärzte] dann in die Lage kommen, viele Entgleisungen des monatlichen Zyklus zu erklären, vor denen wir bisher ratlos gestanden haben«.

Unvorbereitet darf frau sich allerdings nicht mit der Bitte um Information an die staatlichen Stellen wenden: »Die dort Ratsuchenden müssten vor allem ge­fragt werden, ob sie den Ablauf des mensuellen Zyklus bereits durch gewissenhafte Aufzeichnungen der Menstruationstermine während eines ganzen Jahres verfolgt haben.« Wehe denen, die das nicht getan haben: »Sollte dies in dem einen oder anderen Falle noch nicht geschehen sein, so müssten diese Frauen erst dazu ange­halten werden, ehe ihnen eine weitere Auskunft gegeben wird.«

Seinen zukunftsprägenden Entwurf präsentiert Knaus zuerst auf Fachveran­staltungen in Graz, im Oktober 1933 auch in Berlin und im Juni 1934 vor der Ge­ sellschaft der Ärzte in Wien. Nun schickt er ihn auf dem Dienstweg auch an das zuständige Ministerium. Was soll dort damit geschehen? In einer Begleitnotiz zur Akte spürt man die Unsicherheit des Bearbeiters: »Es handelt sich um eine von dem Mitglied der Grazer Fakultät Knaus propagierte Theorie, über deren Wert oder Unwert die wissenschaftlichen Meinungen geteilt sind, die aber bereits an die Öffentlichkeit gedrungen ist und auch aus begreiflichen Gründen zum Anlass geworden ist, dass sich das breite Publikum vielfach mit ihr befasst.« Weil es aber doch wichtig sein könnte – »Es erscheint […] angezeigt im Gegenstande die Stellungnahme eines berufenen wissenschaftlichen Forums zu hören, um entspre­chend auf klärend wirken zu können« –, will man Knaus’ Entwurf »dem OSR [Oberster Sanitätsrat, Beratungsgremium des Ministers, Anm. d. A.] behufs allfäl­liger Stellungnahme […] unterbreiten«. Dies geschieht allerdings nicht, denn die Präsentation vor der Gesellschaft der Wiener Ärzte verläuft anders als erwartet: Knaus muss sich damit zufriedengeben, dass man seine Methode als ›sehr geeignet für die Geburtenregelung in Fällen von Sterilität‹ ansieht. So wird der Entwurf am 29. Oktober 1935 an die Abteilung 8 »als überholt rückgemittelt«. Von dort wandert er weiter ins Archiv.